Ihr-Recht-Blog

28. November 2012

BGH: Kein automatischer Entfall des Vollkaskoschutzes bei Unfallflucht!

Ein Verstoß gegen § 142 Abs. 2 StGB (nicht unverzügliche Ermöglichung nachträglicher Feststellungen nach zunächst erlaubtem Entfernen vom Unfallort)  stellt nicht in jedem Falle zugleich eine vorsätzliche Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gegenüber dem Fahrzeugversicherer dar, die zu dessen Leistungsfreiheit führt. Dies hat der BGH mit Urteil vom 21. November 2012, Az. IV ZR 97/11 entschieden.

In dem vom BGH entschiedenen Fall erlitt der Kläger mit seinem bei der Beklagten kaskoversicherten Fahrzeug gegen 1 Uhr morgens einen Unfall, als er – nach seiner Behauptung bei einem Ausweichmanöver wegen auf der Straße stehender Rehe – auf einer Landstraße in einer Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abkam und mit dem Fahrzeugheck gegen einen Baum prallte, der ebenso wie sein Fahrzeug beschädigt wurde. Nach dem Unfall verständigte er den ADAC, der das Fahrzeug abschleppte, und ließ sich von einem herbeigerufenen Bekannten an der Unfallstelle abholen. Die Polizei und den Geschädigten (das zuständige Straßenbauamt) verständigte er nicht. Ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde später eingestellt.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Regulierung des Schadens an seinem Fahrzeug. Er behauptet, ihr den Schaden unverzüglich angezeigt zu haben. Die Beklagte lehnte die Regulierung wegen der Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten (hier E.1.3. AKB 2008) durch unerlaubtes Entfernen vom Unfallort ab.

Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Die Vorinstanzen hatten die Auffassung vertreten, dass die Aufklärungsobliegenheit stets verletzt sei, wenn der Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort verwirklicht werde. Das gelte auch in den Fällen des § 142 Abs. 2 StGB, gegen den der Kläger verstoßen habe.

Der Bundesgerichtshof hat dagegen einen solchen Automatismus verneint. Nach Ansicht des BGH ist dem Aufklärungsinteresse des Versicherers trotz eines Verstoßes gegen § 142 Abs. 2 StGB dann in ausreichender Weise genügt, wenn der Versicherungsnehmer zu dem Zeitpunkt, in dem eine nachträgliche Information des Geschädigten noch "unverzüglich" im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB gewesen wäre und er eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift vermieden hätte, zwar nicht den Geschädigten, aber unmittelbar seinen Versicherer oder dessen Agenten informiert hat. Da der Kläger dies behauptet hatte,hat der BGH deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

23. November 2012

BGH: ALG II pfändbar!

Filed under: Zwangsvollstreckung — Schlagwörter: , , , , , , — ihrrecht @ 09:31

Ansprüche auf laufende Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Arbeitslosengeld II) sind gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen nach Maßgabe der Vorschriften in §§ 850c ff. ZPO pfändbar (Dies hat der BGH mit Beschluss vom 25.10.2012, Az. VII ZB 74/11 in Fortführung der Entscheidung vom 25. November 2010, Az. VII ZB 111/09 (NJW-RR 2011, 706) entschieden.

Im nunmehr entschiedenen Fall erwirkten die Gläubiger wegen einer titulierten Forderung von 2.331,69 € nebst Zinsen und Zustellkosten einen Beschluss, mit dem vermeintliche Ansprüche der Schuldnerin "auf Zahlungen des gesamten Arbeitseinkommens und vergleichbarer Einkommen, z.B. Provisionen u. dgl. (einschließlich des Geldwerts von Sachbezügen) sowie der gesamten Geldleistungen (Arbeitslosengeld)" gegen die Drittschuldner gepfändet und ihnen zur Einziehung überwiesen wurden. Die Schuldnerin steht bei dem Drittschuldner in Leistungsbezug. Die Drittschuldnerin legte Erinnerung gegen die Pfändung ein.

Nach Ansicht des BGH wollte der Gesetzgeber durch die Einführung der Vorschrift in § 54 Abs. 3 Nr. 2a SGB I nur Ansprüche auf Wohngeld der Pfändung grundsätzlich und ungeachtet des durch die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO ohnehin bestehenden Pfändungsschutzes entziehen. Für eine Erstreckung dieser Regelung auf Leistungen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe II, insbesondere auf solche zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung, besteht kein zwingender sachlicher Grund. Sie ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde insbesondere nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, so der BGH. Die Belange des hilfebedürftigen Schuldners erfordern es nicht, seine Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch der Pfändung generell zu entziehen.

Da solche Ansprüche gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden dürfen, unterliegen sie den Bestimmungen der §§ 850 ff. ZPO (BGH, Beschluss vom 5. April 2005 – VII ZB 20/05, NJW-RR 2005, 1010; Beschluss vom 12. Dezember 2003 – IXa ZB 207/03, Rpfleger 2004, 232; Beschluss vom 10. Oktober 2003 – IXa ZB 180/03, Rpfleger 2004, 111). Sie sind, vorbehaltlich der Sonderregelungen in §§ 850d und 850f ZPO, nur in dem durch § 850c ZPO zugelassenen Umfang pfändbar. Die danach zu berücksichtigenden Pfändungsfreigrenzen liegen normalerweise deutlich über den Beträgen, die der erwerbsfähige Schuldner regelmäßig als Arbeitslosengeld II erhält.

Für die Fälle, in denen der Schuldner laufende Geldleistungen nach § 19 Abs. 1 SGB II in einer die Pfändungsfreigrenzen des § 850c übersteigenden Höhe erhält, besteht nach Auffassung des BGH kein verfassungsrechtliches Gebot, diese überschießenden Beträge über den Regelungsbereich des § 54 Abs. 3 SGB I hinaus dem Pfändungszugriff des Gläubigers zu entziehen.

14. November 2012

BArbG: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits am 1. Krankheitstag!

Filed under: Arbeitsrecht — Schlagwörter: , , , , , , — ihrrecht @ 13:03

Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist der Arbeitgeber berechtigt, vom Arbeitnehmer die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer schon von dem ersten Tag der Erkrankung an zu verlangen. Die Ausübung dieses Rechts steht im nicht an besondere Voraussetzungen gebundenen Ermessen des Arbeitgebers.

Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 14. November 2012, Az. 5 AZR 886/11 entschieden.

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts ist eine sachliche Rechtfertigung nicht erforderlich, es ist insbesondere nicht erforderlich, dass gegen den Arbeitnehmer ein begründeter Verdacht besteht, er habe in der Vergangenheit eine Erkrankung nur vorgetäuscht. Eine tarifliche Regelung stehe dem nur entgegen, wenn sie das Recht des Arbeitgebers aus § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG ausdrücklich ausschließe.

7. November 2012

BGH: Zur Höhe des Schadensersatzes bei Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigung

Der Besteller kann unter den Voraussetzungen von § 280 Abs. 1, § 281 Abs. 1 BGB ohne vorherige Fristsetzung Schadensersatz statt der Leistung für Mängel der
Werkleistung beanspruchen, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung hinsichtlich dieser Mängel gemäß § 635 Abs. 3 BGB zu Recht als unverhältnismäßig verweigert
hat. Macht der Besteller werkvertraglichen Schadensersatz in Höhe der Mängelbeseitigungskosten geltend, entsprechen die für die Beurteilung der
Unverhältnismäßigkeit dieses Aufwands nach § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB maßgeblichen Kriterien denen, die bei der gemäß § 635 Abs. 3 BGB gebotenen Prüfung des
unverhältnismäßigen Nacherfüllungsaufwands heranzuziehen sind.

Dies hat der BGH mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 11.10.2012, Az. VII ZR 179/11 entschieden.

Der BGH hatte bisher nicht entschieden, ob die für die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit im Sinne des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB maßgeblichen Kriterien denen entsprechen, die bei der nach § 635 Abs. 3 BGB gebotenen Prüfung des unverhältnismäßigen Nacherfüllungsaufwands heranzuziehen sind. Das ist nach der Ansicht des BGH zu bejahen, wenn, wie im entschiedenen Fall, werkvertraglicher Schadensersatz in Höhe der Mängelbeseitigungskosten beansprucht wird. Durch die Zubilligung dieses Schadensersatzanspruches soll der Besteller einen Ausgleich für die Nachteile erhalten, die ihm durch die mangelhafte Ausführung der Werkleistung entstanden sind. Sein Anspruch auf monetären Ausgleich für Mangelschäden beruht auf seinem berechtigten Interesse an der Verwirklichung des vom Unternehmer geschuldeten Werkerfolgs. Er soll hinsichtlich der Beseitigung dieser Mängel im Ergebnis nicht besser stehen als er bei tauglicher Nacherfüllung durch den Unternehmer stünde. Dann aber besteht kein vernünftiger Grund, dem Unternehmer, der die Beseitigung von Mängeln wegen eines damit verbundenen unverhältnismäßigen Aufwands gemäß § 635 Abs. 3 BGB verweigern darf, gleichwohl im Wege des Schadensersatzes die Erstattung der Mängelbeseitigungskosten abzuverlangen.  Daraus folgert der BGH im Ergebnis, dass der Besteller mangelbedingten Schadensersatz stets nur in Höhe der Verkehrswertminderung beanspruchen kann, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht gemäß § 635 Abs. 3 BGB als unverhältnismäßig verweigert hat.

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