Ihr-Recht-Blog

27. Juni 2018

OLG Nürnberg zur Subsidiarität der Parteivernehmung

Die Parteivernehmung ist subsidiär und erst nach Ausschöpfung aller sonstigen Erkenntnisquellen zulässig. Hieran ändert auch der Grundsatz der Waffengleichheit nichts. Der formellen Parteivernehmung kommt gegenüber der informatorischen Anhörung kein erhöhtes Gewicht zu. Entsprechend hat dies das OLG Nürnberg mit Urteil vom 10.06.2015, Az. 2 U 2316/14 ausgeführt und die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, der BGH hat nunmehr mit Beschluss vom 07.03.2018, Az. VII ZR 73/15 die insoweit eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Das OLG hat insoweit darauf hingewiesen, der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass er als Partei hätte vernommen werden müssen. Die Parteivernehmung ist subsidiär und erst nach Ausschöpfung aller sonstigen Erkenntnisquellen zulässig. Hieran ändert auch der Grundsatz der Waffengleichheit nichts (Zöller-Greger, ZPO, 30. Auflage, vor § 445 Rn. 5). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat es dem nationalen Recht überlassen, wie es dem Grundsatz der Waffengleichheit auch in Fällen von Beweisnot Rechnung trägt. Er hat in einer späteren Entscheidung klargestellt, dass es nicht auf die formale Beweisposition, sondern auf die Berücksichtigung der Erkenntnisquellen ankommt. Die ZPO gewährleistet dies durch den Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Danach ist das Gericht nicht gezwungen, dem Zeugen einer Partei zu glauben, sondern hat sich seine Überzeugung aus dem gesamten Inhalt der Verhandlung zu bilden, zu dem auch der Prozessvortrag der anderen Seite gehört. Es reicht daher aus, die "beweislose" Partei zur Vernehmung des gegnerischen Zeugen gemäß § 141 ZPO hinzuziehen und anzuhören (Zöller-Greger, aaO., § 448 Rn. 2a). Auch ist der Senat der Auffassung, dass einer förmlichen Parteivernehmung kein anderes Gewicht zukommt und eine Parteianhörung der Zeugenvernehmung gleichwertig gegenüberzustellen ist.

19. Juni 2018

BArbG zum Anspruch auf Kündigung einer Direktversicherung im bestehenden Arbeitsverhältnis

Der bloße Geldbedarf eines Arbeitnehmers, für den der Arbeitgeber eine Direktversicherung zur Durchführung der betrieblichen Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung abgeschlossen hat, begründet für sich genommen keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber, den Versicherungsvertrag gegenüber der Versicherungsgesellschaft zu kündigen, damit der Arbeitnehmer den Rückkaufswert erhält. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit
Urteil vom 26. April 2018, Az. 3 AZR 586/16 entschieden.

Der Kläger schloss mit der beklagten Arbeitgeberin im Jahr 2001 eine Entgeltumwandlungsvereinbarung. Danach war die Arbeitgeberin verpflichtet, jährlich ca. 1.000,00 Euro in eine zugunsten des Klägers bestehende Direktversicherung, deren Versicherungsnehmerin sie ist, einzuzahlen. Die Versicherung, die von der Arbeitgeberin durch weitere Beiträge gefördert wird, ruht seit 2009. Mit seiner Klage verlangte der Kläger von der Beklagten die Kündigung des Versicherungsvertrags, weil er sich in einer finanziellen Notlage befinde.

Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat – wie die Vorinstanzen – die Klage abgewiesen. Der Kläger hat kein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Kündigung. Die im Betriebsrentengesetz geregelte Entgeltumwandlung dient dazu, den Lebensstandard des Arbeitnehmers im Alter zumindest teilweise abzusichern. Mit dieser Zwecksetzung wäre es nicht vereinbar, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verlangen könnte, die Direktversicherung lediglich deshalb zu kündigen, um dem versicherten Arbeitnehmer die Möglichkeit zu verschaffen, das für den Versorgungsfall bereits angesparte Kapital für den Ausgleich von Schulden zu verwenden, so der Senat.

12. Juni 2018

VK Sachsen zur Beweislast für die ordnungsgemäße Kalkulation

Der öffentliche Auftraggeber hat ungewöhnlich niedrige Angebote, auf die der Zuschlag erfolgen soll, zu überprüfen. Im Rahmen dieser Überprüfung ist der Bieter verpflichtet, die ordnungsgemäße Kalkulation nachzuweisen. Kommt er dem nicht nach, ist er vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen. Hierauf hat die Vergabekammer Sachsen mit jetzt veröffentlichtem Beschluss vom 06.12.2017, Az.  3 VK LSA 88/17 abgestellt.

Demnach muss nicht der Auftraggeber im Rahmen der Preisaufklärung den Nachweis der Unangemessenheit erbringen. Der Bieter trägt die Beweislast dafür, die Zweifel des Auftraggebers zu entkräften. Kann er dies nicht, kann dem Auftraggeber nicht zugemutet werden, ein aus seiner Sicht unangemessenes Angebot annehmen zu müssen. Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des Bieters (Gabriel/Krohn/Neun – Handbuch Vergaberecht, S. 952, Rn 59).

5. Juni 2018

Bundesarbeitsgericht: Rückzahlung von Leistungen nach SGB II kein Verzugsschaden

Durch die Rückzahlung von Leistungen nach dem SGB II wegen einer verspäteten Lohnzahlung entsteht dem Arbeitnehmer kein (weiterer) Verzugsschaden. Das Bundesarbeitsgericht hat hierauf mit Urteil vom 17.1.2018, Az. 5 AZR 205/17 hingewiesen und auf die Revision des beklagten Arbeitgebers das entgegenstehende Urteil der Vorinstanz (Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28. März 2017, Az. 3 Sa 475/14) aufgehoben.

Der Kläger war aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags vom 1. Dezember 2013 bis zum 31. Mai 2014 beim Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug 1.300,00 Euro, welches einen Auszahlungsbetrag von 986,81 Euro ergab. Die Vergütung zahlte der Beklagte zunächst jeweils im Folgemonat, den Lohn für April 2014 indes erst am 10. Juni 2014 und den für Mai 2014 erst am 14. Juli 2014.  Auf Antrag des Klägers vom 2. Juni 2014 bewilligte ihm das Jobcenter Landkreis W am 10. Juli 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum Juli bis November 2014. Nachdem der Kläger den Lohn für Mai 2014 nachgezahlt erhalten hatte, hob das Jobcenter Landkreis W wegen fehlender Hilfebedürftigkeit im Juli 2014 für diesen Monat die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II auf und verlangte vom Kläger die Erstattung von 535,32 Euro. Über die vom Kläger dagegen nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage zum Sozialgericht D ist noch nicht entschieden.

Mit der am 5. August 2014 beim Arbeitsgericht anhängig gemachten Klage hat der Kläger die Freistellung von der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W verlangt. Er hat gemeint, durch die Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II erleide er einen Vermögensschaden, den ihm der Beklagte wegen der verspäteten Lohnzahlung für den Monat Mai 2014 ersetzen müsse.

Das Bundesarbeitsgericht hat ausgeführt, daß der Kläger rein rechnerisch schon keinen Schaden erleide, wenn er mit seiner Klage vor den Sozialgerichten Erfolg habe. In diesem Falle stünde fest, dass der Kläger die für den Monat Juli 2014 bezogenen Leistungen nach dem SGB II nicht, auch nicht teilweise, an das Jobcenter Landkreis W zurückzahlen muss.

Aber auch, wenn der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Jobcenters Landkreis W vor den Sozialgerichten Bestand habe, fehlt es gleichwohl an einem Schaden.

Ob – rechnerisch – ein Vermögensschaden eingetreten ist, bemisst sich zunächst nach der Differenzhypothese durch Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne dieses Ereignis bestünde (vgl. BAG 16. Januar 2013 – 10 AZR 560/11 – Rn. 24; 26. September 2012 – 10 AZR 370/10 – Rn. 18, BAGE 143, 165; 15. September 2011 – 8 AZR 846/09 – Rn. 47). Dabei kann ein nach § 249 BGB zu beseitigender Schaden auch darin liegen, Schuldner einer Verbindlichkeit gegenüber einem Dritten zu sein (BGH 18. Januar 2005 – VI ZR 73/04 – zu II 2 der Gründe; BAG 20. November 1996 – 5 AZR 518/95 – zu II 4 der Gründe, BAGE 84, 344).

Die Differenzhypothese ist indes nur Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob ein Schaden eingetreten ist. Weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt, muss die Differenzhypothese stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden. Erforderlich ist eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes (BGH 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 – Rn. 17 mwN; Palandt/Grüneberg 77. Aufl. Vorbem. vor § 249 BGB Rn. 10 ff.).

Zahlt der Arbeitgeber Arbeitsentgelt nicht oder verspätet, hat der Arbeitnehmer wie jeder Gläubiger einer Geldschuld unabhängig von einem konkreten Schaden zunächst den Zinsanspruch nach § 288 Abs. 1 BGB, dessen Höhe dem Schuldner den Anreiz nehmen soll, fällige Zahlungen hinauszuzögern (vgl. MüKoBGB/Ernst 7. Aufl. § 288 BGB Rn. 3; Palandt/Grüneberg 77. Aufl. § 288 BGB Rn. 3; zur Präventionsfunktion der Norm sh. auch BAG Großer Senat 7. März 2001 – GS 1/00 – zu III 4 b ff der Gründe, BAGE 97, 150). Der nach § 288 Abs. 4 BGB ersatzfähig bleibende weitere Schaden ist typischerweise derjenige, der dem Arbeitnehmer entsteht, weil ihm das nicht oder nicht rechtzeitig gezahlte Geld zum Bestreiten seines Lebensunterhalts fehlt und er deshalb einen Kredit aufnehmen und dafür Zinsen zahlen muss. Einen solchen Schaden hat der Kläger nicht geltend gemacht.

Nimmt der Arbeitnehmer Sozialleistungen in Anspruch, zeigen die einschlägigen Normen, dass der Arbeitnehmer nicht (verspätetes) Arbeitsentgelt und Sozialleistung erhalten soll, so das BArbG. Zahlt der Arbeitgeber kein Arbeitsentgelt (mehr) – etwa nach einer Kündigung, die sich später im Kündigungsschutzprozess als unwirksam erweist – und nimmt der Arbeitnehmer deshalb Sozialleistungen in Anspruch, erhält er diese nicht „umsonst“. Vielmehr geht sein Anspruch auf Arbeitsentgelt kraft Gesetzes bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen auf den Leistungsträger über, § 115 Abs. 1 SGB X, sofern eine sachliche und zeitliche Kongruenz von Entgeltanspruch und Sozialleistung besteht (vgl. dazu BAG 29. April 2015 – 5 AZR 756/13 – Rn. 8, BAGE 151, 281, st. Rspr.). Dies gilt auch für Sozialleistungen nach dem SGB II, denn gemäß § 33 Abs. 5 SGB II geht § 115 Abs. 1 SGB X der Regelung zum Übergang von Ansprüchen in § 33 Abs. 1 SGB II vor. Wäre das Arbeitsverhältnis nicht beendet gewesen und hätte der Kläger gegen den Beklagten für den Monat Juli 2014 noch einen Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt, wäre dieser in Höhe der erbrachten Leistung kraft Gesetzes auf das Jobcenter W übergegangen.

Darüber hinaus berücksichtige das SGB II auch inkongruente Leistungen, bei denen eine cessio legis nach § 115 Abs. 1 SGB X ausscheidet. Die Hilfebedürftigkeit iSd. § 9 Abs. 1 SGB II hängt u. a. von dem zu berücksichtigenden Einkommen ab. Bei diesem stellt das Gesetz nicht auf den Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs, sondern auf den des Zuflusses der Einnahmen ab, § 11 Abs. 2 und Abs. 3 SGB II. Hätte im Streitfall das Jobcenter W erst nach dem 14. Juli 2014 über den Antrag des Klägers entschieden, hätte dieser wegen des zwischenzeitlichen Zuflusses von Arbeitsentgelt von vornherein für den Monat Juli 2014 keine Leistungen nach dem SGB II erhalten. Fließen dem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II erst nach deren Bewilligung Einnahmen (oder Vermögen, das die Freibeträge des § 12 SGB II übersteigt) zu, die die Hilfebedürftigkeit (zeitweise) entfallen lassen, soll nach § 40 Abs. 1 SGB II iVm. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X die Bewilligung rückwirkend aufgehoben werden.

In ihrer Zusammenschau zeigen diese Regelungen, dass der Arbeitnehmer im Falle des Verzugs des Arbeitgebers mit der Entgeltzahlung in keinem Falle Arbeitsentgelt und Leistungen nach dem SGB II erhalten soll. Bei zeitlicher Kongruenz von Arbeitsentgelt und Sozialleistung geht der Anspruch auf Arbeitsentgelt in Höhe der bezogenen Sozialleistung auf den Sozialleistungsträger über, bei zeitlicher Inkongruenz entfällt der Anspruch auf die Leistung nach dem SGB II rückwirkend, sofern der Arbeitnehmer wegen des nach Bewilligung der Sozialleistung zugeflossenen Arbeitsentgelts im Bezugszeitraum oder Teilen davon objektiv nicht hilfebedürftig iSd. § 9 Abs. 1 SGB II war. Dieses normative Konzept schließe es aus, eine berechtigte Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II wegen verspätet gezahlten Arbeitsentgelts als Schaden des Arbeitnehmers zu werten.

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