Ihr-Recht-Blog

30. Oktober 2019

Vergabekammer Sachsen zum Ausschluß von Doppelangeboten

Platziert ein Bieter im Wettbewerb zwei Angebote, die er ausdrücklich als Hauptangebote kennzeichnet, ist es einem Auftraggeber nicht gestattet, eines der Hauptangebote nach Belieben in ein Nebenangebot umzudeuten. Sind zwei, von demselben Bieter im Wettbewerb platzierte Angebote inhaltlich-technisch identisch und unterscheiden sie sich lediglich dadurch, dass eines der Hauptangebote hinsichtlich des Preises mit Pauschalierungen mehrerer Leistungstitel arbeitet, so liegen im Ergebnis unzulässige Doppelangebote vor, die vom Wettbewerb auszuschließen sind.

Hierauf hat die VK Sachsen mit jetzt veröffentlichtem Beschluss vom 23.07.2019, Az. 1/SVK/016-19 abgestellt.

Mehrere Hauptangebote sind zwar nicht grundsätzlich unzulässig, setzen aber voraus, dass sie sich nicht nur bezüglich der Preise, sondern insbesondere in technischer Hinsicht unterscheiden (BGH, Urt. v. 29.11.2016, Az. X ZR 122/14., OLG München, B. v. 29.10.2013 – Verg 11/13; OLG Düsseldorf, 09.03.2011, VII-Verg 52/10 und 01.10.2012, VII-Verg 34/12, OLG Naumburg, Beschluss vom 27.11.2014 – 2 U 152/13, VK Sachsen, B. v. 24.01.2018 – 1/SVK/034-17).

Mehrfachangebote die sich nur in preislichen Kriterien unterscheiden können aber zu einer Wettbewerbsverzerrung insbesondere durch Erzeugung eines künstlichen Bieterfeldes führen, was z.B. dann von Relevanz sein kann, wenn die Preisbewertung mittels einer Interpolation o.ä. erfolgt. Mehrfach- oder Doppelangebote stellen mithin generell eine erhebliche Missbrauchsgefahr dar, so die VK Sachsen.

23. Oktober 2019

BArbG zum Zugang einer Kündigungserklärung durch Einwurf in den Hausbriefkasten

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 493/17 – Rn. 15, BAGE 162, 317; 26. März 2015 – 2 AZR 483/14 – Rn. 37) und des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH 14. Februar 2019 – IX ZR 181/17 – Rn. 11; 5. Dezember 2007 – XII ZR 148/05 – Rn. 9) geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen.

Hierauf hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 22.8.2019, Az. 2 AZR 111/19 hingewiesen.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der beklagte Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 27. Januar 2017 (Freitag) außerordentlich fristlos gekündigt. Das Kündigungsschreiben wurde an diesem Tag von Mitarbeitern der Beklagten gegen 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen. Die Postzustellung in B ist bis gegen 11:00 Uhr vormittags beendet. Mit seiner am 20. Februar 2017 (Montag) beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Er habe das Kündigungsschreiben erst am 30. Januar 2017 (Montag) in seinem Hausbriefkasten vorgefunden. Dieses sei ihm nicht am 27. Januar 2017, sondern frühestens am Folgetag zugegangen.

Das Landesarbeitsgericht hatte angenommen, die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. Januar 2017 gelte nach § 13 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, da der Kläger deren Rechtsunwirksamkeit nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht habe. Das Kündigungsschreiben sei dem Kläger bereits am 27. Januar 2017 zugegangen. Es könne nach den gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs mit einer Kenntnisnahme von Schriftstücken, die in den Hausbriefkasten eines Arbeitnehmers eingeworfen würden, bis 17:00 Uhr gerechnet werden. Auf den Zeitpunkt der Beendigung der örtlichen Postzustellung komme es nicht an. Denn zum einen lasse sich ein solcher Zeitpunkt heute nicht mehr einheitlich feststellen. Zum anderen beruhe ein solches Verständnis auf der Annahme, dass der Empfänger zeitnah nach der Postzustellung in seinem Hausbriefkasten nachsehe, ob er Post erhalten habe. Diese Annahme entspreche nicht mehr der Wirklichkeit, da berufstätige Menschen ihren Hausbriefkasten regelmäßig erst nach Rückkehr von der Arbeit leerten.

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts stellen entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts  die örtlichen Zeiten der Postzustellung nicht unbeachtliche individuelle Verhältnisse des Empfängers dar. Zu diesen könnte zB eine Vereinbarung mit dem Postboten über persönliche Zustellzeiten zählen (vgl. BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – aaO), konkrete eigene Leerungsgewohnheiten oder auch die krankheits- oder urlaubsbedingte Abwesenheit (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 493/17 – Rn. 15, BAGE 162, 317). Die allgemeinen örtlichen Postzustellungszeiten gehören dagegen nicht zu den individuellen Verhältnissen, sondern sind vielmehr dazu geeignet, die Verkehrsauffassung über die übliche Leerung des Hausbriefkastens zu beeinflussen. Das Landesarbeitsgericht, an welches das Verfahren zurückverwiesen wurde, wird Tatsachenfeststellungen zu einer (ggf. gewandelten) Verkehrsanschauung betreffend den Zeitpunkt der Leerung von Hausbriefkästen in dem von ihm als maßgeblich angesehenen räumlichen Gebiet (Wohnort des Klägers) zu treffen haben, wonach eine solche noch bis 13:25 Uhr zu erwarten ist. Hierzu bedarf es allerdings eines substantiierten Tatsachenvortrags der Beklagten, die für den ihr günstigen Umstand eines Zugangs des Kündigungsschreibens noch am 27. Januar 2017 die Darlegungs- und Beweislast trägt, so das Bundesarbeitsgericht.

15. Oktober 2019

OLG Düsseldorf zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch den Verwaltungsbeirat

Ein in der Wohnungseigentümerversammlung gefasster Beschluss zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch den Verwaltungsbeirat ist nichtig. Denn für die Fassung eines solchen Beschlusses gibt es keine Grundlage im WEG (OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.07.2019, Az. 23 U 205/18).

Gegenstand von Beschlüssen nach dem WEG können lediglich Regelungen sein, die das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander betreffen. Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums gehört hierzu nicht, so das OLG. Sie betrifft das Vertragsverhältnis zwischen dem Bauträger und den Erwerbern. Das verbietet es, die Abnahme durch Beschluss der Wohnungseigentümer zu "vergemeinschaften" (vgl. BGH, Urt. v. 12.05.2016 – VII ZR 171/15, NJW 2016, 2878; OLG München, Urt. v. 06.12.2016 – 28 U 2388/16, BeckRS 2016, 112671; LG München, Urt. v. 07.04.2016 – 36 S 17596/15, ZWE 2017, 39; Pause/Vogel, in: Kniffka, ibrOK BauVertrR, 12.03.2018, § 650u Rn. 114; Müller, in: BeckOK-WEG, 01.02.2019, § 10 Rn. 834; Falkner, in: BeckOGK-WEG, 01.02.2018, § 10 Rn. 536; anderer Ansicht Landgericht München, Urt. v. 18.01.2013 – 18 O 1668/11, BeckRS 2013, 9934; Hügel/Elzer, WEG, 2. Auflage, § 10 Rn. 276; Elzer ZWE 2017, 116). Dabei macht es keinen Unterschied, ob durch Beschluss unmittelbar über die Abnahme entschieden oder ein Dritter dazu bevollmächtigt wird, die Abnahme zu erklären. In beiden Fällen kann der einzelne Erwerber nicht mehr individuell über die Abnahme des Gemeinschaftseigentums entscheiden.

9. Oktober 2019

BGH zum Prüfungsumfang der Berufungsinstanz

Das Berufungsgericht hat die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt. Bei der Berufungsinstanz handelt es sich um eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht. Hierauf hat der BGH mit Beschluss vom 04.09.2019, Az. VII ZR 69/17  im Anschluss an BGH, IBR 2018, 482 hingewiesen; Siehe insoweit auch Beschluss vom 11.10.2016 – VIII ZR 300/15, NJW-RR 2017, 75 = IBRRS 2016, 2977 = IMRRS 2016, 1751; Urteil vom 29.06.2016 – VIII ZR 191/15, NJW 2016, 3015 = IBRRS 2016, 2089 = IMRRS 2016, 1268.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden, so der BGH. Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Derartige konkrete Anhaltspunkte können sich unter anderem aus dem Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften auch aus dem Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben. Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (BGH, Beschluss vom 21. März 2018 – VII ZR 170/17 Rn. 15 m.w.N., BauR 2018, 1162 = NZBau 2018, 349). Bei der Berufungsinstanz handelt es sich daher um eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht (BGH, Urteil vom 29. Juni 2016 – VIII ZR 191/15 Rn. 26, NJW 2016, 3015). Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2016 – VIII ZR 300/15 Rn. 24, NJW-RR 2017, 75).

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