Ihr-Recht-Blog

7. September 2022

BGH zur Überprüfung der Berufungsbegründungsfrist durch das Berufungsgericht

Das Berufungsgericht hat gem. § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen, ob die Frist zur Begründung der Berufung gewahrt worden ist. Erst nach Ausschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse gehen etwa noch vorhandene Zweifel zu Lasten des Rechtsmittelführers (BGH, Beschluss vom 13.07.2022 – VII ZB 29/21 im Anschluss an BGH, Beschluss vom 14.02.2017 – XI ZR 283/16, IBRRS 2017, 1375).

In dem der aktuellen Entscheidung des BGH zugrundeliegenden Sachverhalt nimmt der Kläger die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einem bei einem Autohaus als Neuwagen im Januar 2015 erworbenen Pkw VW Tiguan Sport & Style 2.0 TDI in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Dezember 2020 abgewiesen. Unter dem Datum vom 23. Dezember 2020 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (im Folgenden: Urkundsbeamtin) die Übersendung einer beglaubigten Abschrift des Urteils an die Prozessbevollmächtigten der Parteien handschriftlich in der Akte vermerkt. Aus den zur Akte gelangten Empfangsbekenntnissen der beiden Prozessbevollmächtigten ist hingegen der 22. Dezember 2020 als Empfangsdatum für die Zustellung des Urteils zu entnehmen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Januar 2021, eingegangen beim Berufungsgericht am selben Tag, hat der Kläger Berufung gegen das „am 22.12.2020 verkündete und am 23.12.2020 zugestellte Urteil“ eingelegt. Mit am 23. Februar 2021 eingegangenem Schriftsatz hat der klägerische Prozessbevollmächtigte erstmalig beantragt, wegen Arbeitsüberlastung die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 23. März 2021 zu verlängern. Mit Verfügung vom 24. Februar 2021 hat der Vorsitzende des Berufungssenats darauf hingewiesen, dass er die Berufung derzeit für unzulässig halte, da die Berufungsbegründung nicht fristgerecht eingegangen sei. Das Urteil sei dem klägerischen Prozessbevollmächtigten ausweislich des bei der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses am 22. Dezember 2020 zugestellt worden, sodass die Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf des 22. Februar 2021 geendet habe. Das Fristverlängerungsersuchen sei erst am 23. Februar 2021 und damit nach Ablauf der Frist eingegangen.

Mit einem beim Berufungsgericht am 10. März 2021 eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz hat der Kläger erklärt, das Urteil sei erst am 23. Dezember 2020 zugestellt worden, was sich bereits dadurch zeige, dass es erst am 23. Dezember 2020 beglaubigt worden sei. Zum Beweis hat er die auf diesen Tag datierte Empfangsbestätigung, das (erst) am 23. Dezember 2020 beglaubigte Urteil des Landgerichts sowie das auf diesen Tag datierte Anschreiben der Urkundsbeamtin, das zusammen mit dem Urteil zugestellt worden ist, vorgelegt. Mit einem beim Berufungsgericht am 23. März 2021 eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz hat der Kläger seine Berufung begründet.

Auf Anordnung des Vorsitzenden des Berufungssenats hat sodann eine Geschäftsstellenmitarbeiterin bei der Urkundsbeamtin des Landgerichts telefonisch eine Stellungnahme zu den Vorgängen der Zustellung des landgerichtlichen Urteils eingeholt. Ausweislich des in der Akte befindlichen Vermerks vom 24. März 2021 ist durch diese telefonisch mitgeteilt worden, aus der EDV sei ersichtlich, „dass das Urteil vom 22.12.2020 (vermutlich wegen EDV-Störungen) 2x elektronisch zugestellt wurde“, nämlich „am 22.12.2020, 14:56 Uhr“, und „am 23.12.2020, 10:30 Uhr“.

Den Inhalt dieses Vermerks hat das Berufungsgericht den Parteivertretern mit Schreiben vom 24. März 2021 mitgeteilt und Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt. Des Weiteren hat es darauf hingewiesen, dass eine wirksame erste Zustellung für den Fristbeginn auch dann maßgebend sei, wenn später erneut zugestellt werde.

Mit einem per Fax am 24. März 2021 an das Berufungsgericht übermittelten Schreiben vom selben Tage hat die Urkundsbeamtin des Landgerichts zwei EDV-Ausdrucke übersandt, aus denen sich eine zweimalige Versendung des Urteils ergeben solle. Ergänzend hat sie ausgeführt, dass es in letzter Zeit leider häufiger vorkomme, dass die elektronische Übermittlung nicht immer funktioniere und das Dokument „gelb“ (= nicht gesendet) hinterlegt sei. Am nächsten Tag werde der Ausgang nochmals geprüft und das Dokument, sollte dieses noch immer nicht versandt sein, erneut versendet.

Mit Beschluss vom 13. April 2021 hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht innerhalb der Frist eingegangen sei. Das Urteil sei ausweislich des bei der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses am 22. Dezember 2020 zugestellt worden, sodass die Frist am 22. Februar 2021 geendet habe. Die Berufungsbegründung sei jedoch erst am 23. März 2021 bei Gericht eingegangen. Dem Fristverlängerungsantrag sei keine Folge zu geben, da er ebenfalls erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei. Der nochmaligen Zustellung des Urteils am 23. Dezember 2021 komme keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu, da eine wirksame erste Zustellung für den Fristbeginn auch dann maßgebend sei, wenn später erneut zugestellt werde.

Nach Rückkehr der Akte zum Landgericht hat die dortige Urkundsbeamtin am 26. April 2021 nach erneuter Prüfung des Sachverhalts anhand des Akteninhalts eine weitere Stellungnahme gefertigt. Hiernach sei am 22. Dezember 2020 „versehentlich zusammen mit dem Protokoll ein in der Akte befindlicher Urteilsentwurf versendet [worden], der z.B. auch noch nicht den aktuellen Kilometerstand enthielt.“ Mit Mitteilung vom 22. Dezember 2020 habe sie die Kanzleien des Kläger- und des Beklagtenvertreters „per beA von dem Missgeschick“ unterrichtet und ihnen mitgeteilt, „dass der Urteilsentwurf vernichtet werden soll und dass das tatsächlich erlassene Urteil zusammen mit dem Protokoll umgehend erneut zugesendet wird.“ Dies habe sie dann am 23. Dezember 2020 erledigt. Das Empfangsbekenntnis für dieses Urteil sei per beA eingegangen, „wurde jedoch nicht zur Akte genommen.“ Nachdem die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts sie am 24. März 2021 telefonisch nach der genauen Zustellung gefragt habe, habe sie anhand der beA-Ausgänge gesehen, dass zweimal eine Zustellung erfolgt sei. Sie habe allerdings „irrtümlicherweise“ gedacht, „dass dies durch einen technischen Fehler passiert sei,“ was sie der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts auch so mitgeteilt habe. Der tatsächliche Vorgang sei ihr in diesem Moment „entfallen“. Die an die Kanzleien übersandte Mitteilung vom 22. Dezember 2020 habe sie dabei leider übersehen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger erfolgreich gegen den Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts.

Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, die Berufung sei unzulässig, weil der Fristverlängerungsantrag des Klägers erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) eingegangen sei. Das Berufungsgericht hat die Rechtzeitigkeit des Eingangs dieses Antrags nicht ausreichend aufgeklärt, so der BGH.

Das Berufungsgericht hat gemäß § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen, ob die Frist zur Begründung der Berufung gewahrt worden ist. Gleiches gilt im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang nicht abtrennbare Frage, ob der Berufungsführer rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt hat. Bei der Prüfung ist das Berufungsgericht nicht an die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses gebunden, vielmehr gilt der Grundsatz des Freibeweises (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2022 – VII ZB 52/21 unter 3. a) z.V.b.; BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2011 – VII ZB 35/11 Rn. 9, BauR 2012, 677; zum Prüfungsmaßstab vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Februar 2017 – XI ZR 283/16 Rn. 13). Allerdings bleibt es auch im Rahmen des Freibeweises dabei, dass der dem Rechtsmittelführer obliegende Beweis für die rechtzeitige Einlegung und Begründung des Rechtsmittels zur vollen, den Anforderungen des § 286 ZPO genügenden Überzeugung des Gerichts geführt sein muss (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2011 – VII ZB 35/11 Rn. 9, BauR 2012, 677). Erst nach Ausschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse gehen etwa noch vorhandene Zweifel zu Lasten des Rechtsmittelführers (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2017 – XI ZR 283/16 Rn. 13).

Nach diesen Maßstäben durfte das Berufungsgericht nicht bereits auf der Grundlage der telefonischen und sich hieran anschließenden schriftlichen Auskunft der Urkundsbeamtin die Berufung als unzulässig verwerfen und den Antrag des Klägers auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist als verspätet ansehen. Das Berufungsgericht hatte zuvor nicht alle erschließbaren Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft.

Das Berufungsgericht hätte es nicht bei der telefonischen Rückfrage belassen dürfen, sondern hätte die Akte zum Zwecke der genauen Prüfung und Rekonstruktion der Vorgänge durch die Urkundsbeamtin an diese übersenden müssen.

Die auf telefonische Nachfrage ergangene mündliche wie die sich anschließende schriftliche Auskunft der Urkundsbeamtin vom 24. März 2021 waren nicht geeignet, die aus der Akte ersichtlichen Unstimmigkeiten in Bezug auf die Zustellung des Urteils aufzuklären. Aus ihnen erschloss sich insbesondere nicht, weshalb der Prozessbevollmächtigte des Klägers ein erst am 23. Dezember 2020 beglaubigtes Urteil vorgelegt hat. Denn wäre das Urteil, wie die Urkundsbeamtin in ihrer Stellungnahme am 24. März 2021 angegeben hat, bereits am 22. Dezember 2020 zugestellt worden, hätte es ein auf diesen Tag datierendes Beglaubigungsdatum tragen müssen (vgl. § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Hieran hätte auch eine erneute Zustellung des Urteils am Folgetag mangels Einfluss auf das bereits vorhandene Beglaubigungsdatum nichts ändern können. Ebenfalls unaufgeklärt geblieben ist, weshalb die Urkundsbeamtin in der Akte handschriftlich den Erledigungsvermerk, mit dem sie die Übersendung der beglaubigten Abschrift des Urteils bestätigt hat, auf den 23. Dezember 2020 und nicht auf den 22. Dezember 2020 datiert hat.

Weiter haben die telefonische Auskunft sowie das sich anschließende, an das Berufungsgericht übersandte Schreiben der Urkundsbeamtin Unklarheiten und Widersprüche aufgewiesen, die dem Berufungsgericht Veranlassung zu einer weiteren Aufklärung hätten geben müssen. Die Urkundsbeamtin hat mündlich auf den Anruf der Geschäftsstellenmitarbeiterin des Berufungsgerichts mitgeteilt, dass eine zweifache Übersendung des Urteils „vermutlich“ aufgrund von technischen Probleme erfolgt sei. Schriftlich hat die Urkundsbeamtin weiter angegeben, dass in letzter Zeit die elektronische Übermittlung nicht immer funktioniert habe und das Dokument in einem solchen Fall „gelb“ (= nicht gesendet) hinterlegt sei, sie am nächsten Tag den Ausgang nochmals prüfe und das Dokument, sollte dieses noch immer noch versandt sein, erneut versende. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, dass eine zweifach erfolgreiche Übersendung des Urteils nicht auf einer technischen Störung beruhen kann. Denn nach der Stellungnahme der Urkundsbeamtin erfolgt eine zweite Versendung nur dann, wenn die erste fehlgeschlagen ist.

Der BGH hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO), weil der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht zur Endentscheidung reif ist.


20. September 2021

OLG Oldenburg zum Kostenerstattungsanspruch des Nebenintervenienten

Haben die Parteien eines Rechtsstreits in einem Prozessvergleich vereinbart, dass die Beklagte die Gerichtskosten der Berufungsinstanz trägt und werden die außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz und des Vergleichs gegeneinander aufgehoben, haben die Parteien ihre im Berufungsverfahren entstandenen Kosten jeweils selbst zu tragen (OLG Oldenburg, Beschluss vom 16.08.2021; Az. 6 U 331/20).

Das führt dazu, dass ein Nebenintervenientin keinen Anspruch auf Kostenerstattung hat. Dem Nebenintervenienten steht nur bei hälftiger Kostenteilung ein titulierter Kostenerstattungsanspruch zu (sog. Kostenparallelität); ansonsten muss er die ihm entstandenen Kosten in vollem Umfang selbst tragen.

Die Parteien des der Entscheidung des OLG Oldenburg zugrundeliegenden Rechtsstreits hatten in der Berufungsinstanz einen Prozessvergleich geschlossen, der durch den Senat gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt wurde. Die Nebenintervenientin war an dem Vergleichsabschluss nicht unmittelbar beteiligt. Nach dem Inhalt des Vergleichs sollte es hinsichtlich der Kosten der Nebenintervention bei der Kostenentscheidung aus dem am 24.11.2020 verkündeten Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück verbleiben. Der Urteilstenor des landgerichtlichen Urteils sieht vor, dass die Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenienten zu tragen hat.
Eine Regelung hinsichtlich der Kostentragungspflicht in Bezug auf die Nebenintervenientin haben die Parteien für die zweite Instanz nicht getroffen. In dem Vergleichstext ist lediglich festgehalten, dass die Beklagte die Gerichtskosten der Berufungsinstanz trägt, hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Parteien in der Berufungsinstanz unter Einschluss des Vergleichs wurde geregelt, dass diese Kosten gegeneinander aufgehoben werden.

Wird der Nebenintervenient am Vergleich nicht beteiligt, dann beeinträchtigt das nicht den Erstattungsanspruch des Nebenintervenienten, und zwar unabhängig davon, ob die Hauptparteien ihn übersehen oder bewusst ausgeklammert haben. Denn der Kostenerstattungsanspruch ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 101 Abs. 1 ZPO) und unterliegt deshalb nicht der Disposition der Hauptparteien. Das Übergehen des Kostenerstattungsanspruchs des Nebenintervenienten besagt nur, dass insoweit zwischen den Hauptparteien keine vergleichsweise Einigung zustande gekommen ist, der Vergleich mithin den Kostenerstattungsanspruch des Nebenintervenienten nicht tituliert. Im Ergebnis steht dem Nebenintervenienten aber ein Kostenanspruch zu, der dem entspricht, den die von ihm unterstützte Partei gegen ihren Gegner hat (Zöller-Herget, ZPO, 33 Auflage, § 101 Rn 8 mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung).

Gemäß § 101 Abs. 1 ZPO sind die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten dem Gegner der Hauptpartei aufzuerlegen, soweit er nach den Vorschriften der §§ 91 bis 98 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Soweit dies nicht der Fall ist, sind diese dem Nebenintervenienten aufzuerlegen. Der sich hieraus ergebende Grundsatz der Kostenparallelität führt dazu, dass der Kostenerstattungsanspruch des Nebenintervenienten inhaltlich dem Kostenerstattungsanspruch entspricht, den die von ihm unterstützte Hauptpartei gegen den Gegner hat (BGH NJW 2011, 3721; NJW-RR 2007, 1577; NJW 2003, 1948; OLG Koblenz NJW-RR 2015, 191). Dies gilt nicht nur für richterliche Kostenentscheidungen, sondern, wie sich aus der Bezugnahme des § 101 Abs. 1 ZPO auf § 98 ZPO ergibt, auch bei Vereinbarungen der Parteien nur über die Verteilung der sie betreffenden Prozesskosten in einem Vergleich, den sie ohne Beteiligung des Nebenintervenienten geschlossen haben. Eine solche Vereinbarung ist gemäß §§ 101 Abs. 1, 98 ZPO maßgeblich auch für die Verteilung der durch die Nebenintervention verursachten Kosten (BGH NJW-RR 2005, 1159).

Die Regelung in § 101 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 98 Abs. 1 ZPO ist zwingend Sie lässt eine anderweitige Verteilung der Interventionskosten nach billigem Ermessen nicht zu, so das OLG Oldenburg.

4. Januar 2021

BGH zur Bindungswirkung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils zu einer Baugenehmigung im folgenden zivilgerichtlichen Verfahren

Weist das Verwaltungsgericht die auf die Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Baugenehmigung gerichtete Klage mit der tragenden Begründung ab, dass das Bauvorhaben materiell baurechtswidrig ist, weil es gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, steht dieser Verstoß für einen nachfolgenden Zivilprozess unter denselben Beteiligten bzw. Parteien bindend fest. Hierauf hat der BGH mit Urteil vom 27.11.2020, Az. V ZR 121/19 hingewiesen.

Nach Ansicht des BGH beschränkt sich die Bindungswirkung eines Urteils, mit dem – wie im vorliegenden Fall – die auf die Verpflichtung der Behörde zum Erlass einer Baugenehmigung gerichtete Klage abgewiesen wird, aber nicht auf die Feststellung, dass der Kläger den Erlass der Baugenehmigung nicht verlangen kann. Vielmehr erwachsen bei einem klageabweisenden Urteil auch die tragenden Gründe in materielle Rechtskraft, da nur sie Aufschluss darüber geben, weshalb ein geltend gemachter Anspruch verneint (oder bejaht) wurde (BVerwGE 131, 346 Rn. 17 f. zu einer Anfechtungsklage; BVerwG, VIZ 1999, 413 zu einer Verpflichtungsklage; vgl. auch Senat, Urteil vom 7. Februar 1992, Az. V ZR 246/90, BGHZ 117, 159, 166). Die Rechtskraft eines Urteils, durch das die Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung abgewiesen wurde, erstreckt sich daher auch auf die Feststellung der materiellen Baurechtswidrigkeit des Bauwerks (BVerwG, Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 33). Weist das Verwaltungsgericht die auf die Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Baugenehmigung gerichtete Klage mit der – wie hier – tragenden Begründung ab, dass das Bauvorhaben materiell baurechtswidrig ist, weil es gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, steht folglich dieser Verstoß für einen nachfolgenden Zivilprozess unter denselben Beteiligten bzw. Parteien bindend fest. Die Nutzung eines solchen Bauwerks stellt gegenüber dem von dem öffentlich-rechtlichen Gebot der Rücksichtnahme geschützten Nachbarn zivilrechtlich einen Verstoß gegen ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar, sodass der Nachbar einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog auf Unterlassung der entsprechenden Nutzung – im entschiedenen Fall auf Unterlassung der Nutzung eines Offenstalls durch das Einstellen von Pferden – hat, so der BGH.

6. März 2012

BGH: Zur Verwertung eines Selbstgesprächs

Filed under: Strafrecht — Schlagwörter: , , , , , — ihrrecht @ 12:45

Ein in einem Kraftfahrzeug mittels akustischer Überwachung aufgezeichnetes Selbstgespräch eines sich unbeobachtet fühlenden Beschuldigten ist im Strafverfahren – auch gegen Mitbeschuldigte – unverwertbar, da es dem durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011, Az. 2 StR 509/10 im Anschluss an BGH, Urteil vom 10. August 2005, 1 StR 140/05, BGHSt 50, 206).

In dem der Hauptverhandlung vorangegangenen Ermittlungsverfahren wurden verschiedene verdeckte Überwachungsmaßnahmen durchgeführt. Unter anderem fand mit ermittlungsrichterlicher Gestattung gemäß § 100f StPO in Verbindung mit §§ 100b Abs. 1, 100d Abs. 2 StPO eine elektronische Überwachung im Auto des Angeklagten S. K. statt. Dabei wurden dessen Selbstgespräche, als er sich alleine im Auto befand, an mehreren Tagen aufgezeichnet und später in die Hauptverhandlung eingeführt sowie im Urteil des Landgerichts verwertet.

Der Grund für den absoluten Schutz eines Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung bestehe in der Eröffnung einer Möglichkeit für Menschen, sich in einem letzten Rückzugsraum mit dem eigenen Ich befassen zu können, ohne Angst davor haben zu müssen, dass staatliche Stellen dies überwachen (vgl. Senat, Urteil vom 16. März 1983 – 2 StR 775/82, BGHSt 31, 296, 299 f.). Die Gedanken sind grundsätzlich frei, weil Denken für Menschen eine Existenzbedingung darstelle (vgl. Mahrenholz/Böckenförde/Graßhof/Franßen in BVerfG, Beschluss vom 14. September 1989 – 2 BvR 1062/87, BVerfGE 80, 367, 381). Den Gedanken fehle aus sich heraus die Gemeinschaftsbezogenheit, die jenseits des Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung liege. Gleiches gelte, so der BGH,  für die Gedankenäußerung im nicht öffentlich geführten Selbstgespräch (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2005 – 1 StR 140/05, BGHSt 50, 206, 213). Gedanken werden typischerweise in Form eines "inneren Sprechens" entwickelt (vgl. Tönnies, Selbstkommunikation, 1994, S. 16). Denken und Sprache, die dem Menschen als einzigem Lebewesen zur Verfügung steht, seien untrennbar miteinander verbunden. Die Gedankeninhalte des inneren Sprechens treten vor allem in Situationen, in denen der Sprechende sich unbeobachtet fühlt, durch Aussprechen hervor. Das möglicherweise unbewusste "laute Denken" beim nichtöffentlich geführten Selbstgespräch nehme sodann an der Gedankenfreiheit teil, so der BGH in seiner Begründung.

10. März 2011

Frankfurter Geldwäscheprozess: Revision!

Filed under: Strafrecht — Schlagwörter: , , — ihrrecht @ 16:17

Im Frankfurter Geldwäscheverfahren hat die Verteidigung des Angeklagten W. gegen das am heutigen Tage verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt Revision eingelegt.

Tag 25 im Frankfurter Geldwäscheprozess: Haftstrafen und Bewährung

Filed under: Strafrecht — Schlagwörter: , , , , , , — ihrrecht @ 14:09

Am 25. Verhandlungstag im Frankfurter Geldwäscheverfahren am 10.03.2011 wurde das Urteil der Strafkammer verkündet. Der Angeklagte W. wurde in 2 Anklagepunkten freigesprochen und wegen weiterer Anklagepunkte zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Sein Bruder, der aus Sicht des Gerichtes ebenfalls zu den Hauptangeklagten zählte, erhielt wegen mehrerer Geldwäschetaten eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 9 Monaten. 2 weitere Angeklagte, denen das Gericht untergeordnete Funktionen  zumaß, erhielten Freiheitsstrafen von jeweils 2 Jahren und 6 Monaten. Die Ehefrauen zweier Angeklagter sowie ein weiterer Angeklagter, auf dessen Aussage das Gericht die Verurteilungen unter anderem stützte, erhielten Bewährungsstrafen.

Das Gericht sah es als erwiesen an, daß die Angeklagten als Teil eines Finanznetzwerkes, welches sich mit der Verschleierung von Geldern aus BTM-Geschäften befasste, gehandelt hätten.

Ein bandenmäßiges Handeln, wie von der Anklage vorgeworfen, lehnte die Strafkammer ab, auch ein gewerbsmäßiges Handeln bei den Angeklagten, denen das Gericht eine untergeordnete Funktion zumaß.

Die Höhe der Strafe stützte das Gericht vor allem auf die erhebliche Höhe des sichergestellten Geldbetrages von über € 8.000.000,00.

18. Dezember 2009

Aktuell: Haftstrafe und Bewährung im GAG-Verfahren!

Filed under: Strafrecht — Schlagwörter: , , , , — ihrrecht @ 12:44

Das Urteil des Landgerichts Frankenthal im GAG-Verfahren ist am heutigen Tage verkündet worden. Das Gericht hat den angeklagten Ex-Mitarbeiter der GAG wegen Untreue im besonders schweren Fall in 129 Fällen zu einer Haftstrafe von 3 Jahren ohne Bewährung verurteilt. Der mitangeklagte Installateur erhielt wegen Beihilfe eine Strafe von 1 Jahr und 8 Monaten, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Das Gericht erklärte in seiner Begründung, es habe keine Veranlassung, an der Richtigkeit des Geständnisses des Installateurs zu zweifeln. Dieser habe seine Beteiligung von Anfang an offengelegt und sich aktiv an der Aufklärung der Taten beteiligt. Ohne seine Mithilfe wären wohl zahlreiche Fälle, in denen Thermen veruntreut wurden, unentdeckt geblieben. Seine Angaben, so das Gericht, werden zudem durch zahlreiche objektive Tatsachen sowie  Zeugenaussagen gestützt.

Den Angaben des Ex-Mitarbeiters, wonach er lediglich 20 bis 25 Thermen veruntreut und verkauft habe, vermochte die Kammer nicht zu folgen.

Der Installateur erklärte noch im Termin, daß er das Urteil annehme und auf Rechtsmittel verzichte.

Erstelle kostenlos eine Website oder ein Blog auf WordPress.com.

%d Bloggern gefällt das: