Ihr-Recht-Blog

16. April 2024

Zur Berechnung des Schadenersatzes wegen unrechtmäßigem Einkürzen von Bäumen auf Nachbargrundstück

Das OLG Frankfurt hat sich mit Urteil vom 06.02.2024, Az. 9 U 35/23 mit der Frage befasst, wie der Schadenersatz wegen unrechtmäßigem Einkürzen von Bäumen auf Nachbargrundstück zu berechnen ist.

Nach Ansicht des OLG Frankfurt ist bei der Zerstörung eines Baumes in der Regel keine Naturalrestitution zu leisten, vielmehr ist der Anspruch des Geschädigten auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines jungen Baumes und darüber hinaus ein Ausgleich für eine etwa verbleibende Werteinbuße des Grundstücks zu leisten.

Hinsichtlich der sogenannten Ausgangsgröße, also der Größe des neu anzupflanzenden Baumes, hat das OLG Frankfurt u. a. auf die Entscheidung des Oberlandesgericht Brandenburg verwiesen, welches wegen der im Jahr 2012 erfolgten Beschädigung mehrerer im den 1930er Jahren gepflanzten Lindenbäume auf Basis eines Sachverständigengutachtens ausgeführt hat, dass von einer größeren Ausgangsgröße auszugehen sei, wenn der Baum eine hohe Funktion habe (Schatten, Gestaltung, Repräsentation, Sichtschutz, Kleinklima, Tierwelt usw.), so dass im dort entschiedenen Fall die Neupflanzung mit einer Ausgangsgröße von 25-30 cm Stammumfang und einer Herstellungszeit von 25 Jahren berechnet wurde (OLG Brandenburg, Urteil vom 8.2.2018 – 5 U 109/16). Das OLG Düsseldorf hat wegen des unberechtigten Fällens von 16 Fichten, deren Zweck sich im Sichtschutz erschöpfte, eine Neupflanzung von neun, jeweils vier Meter hohen Fichten (die damit genauso hoch waren, wie die zuvor gefällten) für angemessen erachtet (OLG Düsseldorf, Urteil vom 5.8.2009 – I 15 U 100/08). Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass wegen der Beschädigung eines 40 Jahre alten Walnussbaums Wertersatz in Höhe von 7.671 Euro geschuldet wird (OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.1.2023 – 12 U 92/22, a.a.O. Rn 70).

Wird ein Baum zerstört oder beschädigt, ist nicht auf den beschädigten Baum als solchen, sondern auf die mit der Beschädigung eines Baumes erfolgte Beschädigung des Grundstückes abzustellen, dessen wesentlicher Bestandteil der darauf befindliche Bewuchs ist, § 94 BGB. Insoweit entspricht es der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Instanzgerichte, dass bei einer – als Sachbeschädigung des Grundstücks zu behandelnden – Zerstörung eines Baumes in der Regel keine Naturalrestitution zu leisten ist, weil eine Ersatzbeschaffung in Form einer Verpflanzung eines ausgewachsenen Baumes mit besonders hohen, in aller Regel unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist (BGH, Urteil vom 13.5.1975 – VI ZR 85/74, VersR 1975, 1047 unter II.1.b.; BGH, Urteil vom 25.1.2013 – V ZR 222/12, BGHZ 196, 111 Rn 5; OLG Frankfurt, Beschluss vom 5.2.2014 – 13 U 2/12; OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2003 – I-7 U 12/03, VersR 2005, 1445 ff.; OLG Celle, Urteil vom 9.12.1982 – 5 U 69/82, VersR 1984, 69 ff.; OLG München, Urteil vom 26.11.2020 – 29 U 2518/20; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5.8.2009 – I-15 U 100/08).

Der Schadensersatz des Geschädigten richtet sich in diesen Fällen vielmehr in der Regel auf eine Teilwiederherstellung durch Anpflanzung eines neuen jungen Baums und darüber hinaus einen Ausgleich gemäß § 251 Abs. 2 BGB für die verbleibende Werteinbuße des Grundstücks. Diese Werteinbuße ist nach ebenfalls inzwischen gefestigter einhelliger Rechtsprechung gemäß § 287 ZPO durch den Tatrichter zu schätzen, wobei regelmäßig auf die sogenannte Bewertungsmethode von Koch zurückzugreifen ist (BGH, Urteil vom 25.1.2013 – V ZR 222/12, BGHZ 196, 111 Rn 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 5.2.2014 – 13 U 2/12; OLG Koblenz, Urteil vom 13.6.1997; OLG Celle, Urteil vom 9.12.1982 – 5 U 69/62, a.a.O.; vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 31.1.2005 – 12 U 256/01; OLG Brandenburg, Urteil vom 8.2.2018 – 5 U 109/16; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5.8.2009 – I-15 U 100/08; OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.1.2023 – 12 U 92/22; OLG Hamm, Urteil vom 18.2.2002 – 5 U 120/01, NuR 2005, 276 f.). Hiernach wird der Wertverlust bestimmt, in dem die für die Herstellung des geschädigten Gehölzes bis zu seiner Funktionserfüllung erforderlichen Anschaffungs-, Pflanzungs- und Pflegekosten sowie das Anwachsrisiko berechnet und kapitalisiert werden; der danach errechnete Wert wird gegebenenfalls mit Blick auf eine Alterswertminderung, Vorschäden und sonstige wertbeeinflussende Umstände bereinigt (BGH, Urteil vom 25.1.2013 – V ZR 222/12 a.a.O.; m.w.N.; vgl. BGH, Urteil vom 27.9.1990 – III ZR 97/89, WM 1991, 155 ff., Rn 18).

    Die vollen Wiederbeschaffungskosten können hingegen nur zugebilligt werden, wenn Art, Standort und Funktion des Baumes für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen den Ersatz durch einen gleichartigen Baum wenigstens nahelegen würden (BGH, Urteil vom 13.5.1985 – VI UR 85/74, NJW 1975, 2061, 2063; OLG Koblenz, Urteil vom 13.6.1997, a.a.O.; OLG München, Urteil vom 26.11.2020 – 29 U 2518/20). Maßgeblich ist damit die Überlegung, wie eine Gehölzwiederherstellung unter Berücksichtigung der Funktion des Baumes für das Grundstück erfolgt, wenn kein anderer dafür bezahlt (Koch, VersR 1984, 69 f [Anmerkung zu OLG Celle, Urteil vom 9.12.1982]). Ist etwa das einheitliche geschlossene Bild einer Bepflanzung mit (gleich großen) Bäumen einer Allee für den Grundstückswert von prägender Bedeutung, kann eine Nachpflanzung gleich großer Bäume in Betracht kommen (Koch, a.a.O. entgegen OLG Celle, a.a.O.). Auch bei einem Baum in einem botanischen Garten kann aufgrund seiner Funktion und seines Standorts eine Neupflanzung in Betracht kommen (OLG München, Urteil vom 26.11.2020 – 29 U 2518/20, a.a.O). Liegen die Voraussetzungen für eine Naturalrestitution unter Anwendung dieser Grundsätze nicht vor, schuldet der Schädiger „nur“ Wertersatz und die Kosten für eine Teilwiederherstellung. Fehlt es trotz der Zerstörung oder Beschädigung eines Baumes an einer bezifferbaren Wertminderung des Grundstückes, etwa weil der Baum sich zwischenzeitlich wieder erholt (OLG Frankfurt, Urteil vom 31.1.2005 – 12 U 256/01, a.a.O. Rn 40 ff.) oder die Neupflanzung eines jungen Baumes die Funktion des zerstörten übernommen hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 5.8.2009 – I-15 U 100/08 a.a.O. Rn 50 [Sichtschutzfunktion]), so besteht kein Anspruch auf Wertersatz; der reine Liebhaberwert oder eine Art „Schmerzensgeld“ sind in diesem Fall nicht ersatzfähig (OLG Frankfurt, Urteil vom 31.1.2005 – 12 U 256/01, a.a.O.).

    13. Juni 2023

    Aktuell: BGH hält an fiktiver Schadensberechnung im Mietrecht fest!

    Der BGH hat mit Urteil vom 19.04.2023, Az. VIII ZR 280/21 ausdrücklich an seiner bisherigen Rechtsprechung, welche eine fiktive Schadensbemessung im Mietrecht als zulässig erachtet, festgehalten.

    Das Berufungsgericht hatte die Revision ausweislich des Tenors sowie der Entscheidungsgründe wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) zugelassen, weil sich die Frage stelle, ob – ebenso wie im Werkvertragsrecht – auch im Mietrecht „eine fiktive Schadensberechnung“ nicht mehr vorzunehmen sei (LG Hagen, Urteil vom 25.06.2021, Az. 1 S 1/21).

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Schadensersatzansprüche statt der Leistung im Mietrecht auch mit den für die Instandsetzung oder -haltung oder für den Rückbau der Mietsache erforderlichen aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Kosten bemessen werden (vgl. BGH, Urteile vom 31. März 2021 – XII ZR 42/20, NJW-RR 2021, 803 Rn. 15; vom 12. März 2014 – XII ZR 108/13, NZM 2014, 306 Rn. 31; vom 5. März 2014 – VIII ZR 205/13, NJW 2014, 1653 Rn. 15; vom 8. Januar 2014 – XII ZR 12/13, NJW 2014, 920 Rn. 26; vom 20. Oktober 2004 – VIII ZR 378/03, NZM 2005, 58 unter II 2 [zu § 326 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung]).

    Hieran ist auch nach der vom Berufungsgericht zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht herangezogenen geänderten Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs bezüglich des Werkvertragsrechts (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 31 ff.) weiter festzuhalten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. April 2022 – VIII ZR 364/20, NJW-RR 2022, 1307 Rn. 8 ff.; vom 10. Mai 2022 – VIII ZR 277/20, NJW-RR 2022, 1460 Rn. 14 ff.; Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 82. Aufl., § 535 Rn. 50; aA Schmidt-Futterer/ Lehmann-Richter, Mietrecht, 15. Aufl., § 538 BGB Rn. 136). Denn die Erwägungen des VII. Zivilsenats beruhen allein auf den Besonderheiten des Werkvertragsrechts und sind – auch nach dessen Ansicht – auf andere Vertragstypen nicht übertragbar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2020 – VII ARZ 1/20, NJW 2021, 53 Rn. 78; vom 26. April 2022 – VIII ZR 364/20, aaO Rn. 9 mwN; vom 10. Mai 2022 – VIII ZR 277/20, aaO Rn. 15 mwN).

    Der BGH weiter: zwar gibt es – anders als im Kaufrecht (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 2021 – VIII ZR 187/20, NJW 2022, 686 Rn. 95; vom 12. März 2021 – V ZR 33/19, BGHZ 229, 115 Rn. 11; Beschlüsse vom 16. November 2021 – VIII ZR 15/20, Rn. 14; vom 13. März 2020 – V ZR 33/19, ZIP 2020, 1073 Rn. 42) – im Mietrecht einen mit § 637 Abs. 3 BGB vergleichbaren Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für die (beabsichtigte) Selbstvornahme. Denn nach der Rechtsprechung des Senats besteht im laufenden Mietverhältnis unter den Voraussetzungen des § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB ein Vorschussanspruch des Mieters bei Mietmängeln (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2020 – VIII ZR 163/18, BGHZ 226, 208 Rn. 14 mwN) und kann auch der Vermieter vom Mieter einen Vorschuss in Höhe der erforderlichen Renovierungskosten verlangen, wenn sich der Mieter mit der Durchführung der Schönheitsreparaturen in Verzug befindet (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2006 – VIII ZR 123/05, NJW 2006, 1588 Rn. 12 mwN; Senatsbeschlüsse vom 26. April 2022 – VIII ZR 364/20, aaO Rn. 10; vom 10. Mai 2022 – VIII ZR 277/20, aaO Rn. 16). Solche Ansprüche stehen hier zum einen nur zum Teil in Rede. Zum anderen beziehen sich sämtliche Ansprüche auf ein beendetes Mietverhältnis (vgl. auch BGH, Urteil vom 31. März 2021 – XII ZR 42/20, aaO).

    Der vom Berufungsgericht angeführten Gefahr einer Überkompensation bei fiktiver Abrechnung im Mietrecht wird zum einen dadurch begegnet, dass der Geschädigte nur die zur Erfüllung der Leistungspflicht erforderlichen Kosten beanspruchen darf. Zum anderen ist zu beachten, dass der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung bildet (vgl. BGH, Urteile vom 8. Juli 2020 – VIII ZR 163/18, BGHZ 226, 208 Rn. 42; vom 17. Januar 2023 – VI ZR 203/22, WM 2023, 422 Rn. 50; Beschluss vom 26. April 2022 – VIII ZR 364/20, aaO Rn. 19).

    Soweit der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 57 ff.) auch hinsichtlich eines solchen Schadensersatzanspruchs neben der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB) eine fiktive Schadensbemessung verneint hat, ist dies auf andere Vertragstypen außerhalb des Werkvertragsrechts nicht übertragbar. Zudem ist der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Denn im Falle des dort in Rede stehenden Anspruchs gegen einen Architekten aus § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB aufgrund von Planungs- oder Überwachungsfehlern besteht – anders als hier – eine Ersetzungsbefugnis des Bestellers nicht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, aaO Rn. 58 f.), so der BGH.

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