Ihr-Recht-Blog

30. Oktober 2023

OLG München zur Verwirkung von Mängelbeseitigungsansprüchen

Das OLG München hat sich mit Beschluss vom 19.10.2023, Az. 28 U 3344/23 Bau mit der Verwirkung von Mängelbeseitigungsansprüchen befasst.

Auch wenn die Abnahme fehlschlägt, bestehen Mängelansprüche der Erwerber nicht zeitlich unbeschränkt fort. Die Erwerber können ihre Mängelansprüche verwirken, so das OLG.

Allein ein erheblicher Zeitablauf reicht nicht aus, um von einer Verwirkung der Mängelansprüche auszugehen. Maßgeblich ist jeweils eine Gesamtschau der konkreten Umstände des Einzelfalls.

Die Verwendung einer unwirksamen Abnahmeklausel durch den Bauträger steht der Verwirkung der Mängelansprüche nicht entgegen.

Die im vorliegenden Fall zu behandelnde – eher rechtspolitische – Fragestellung ist, ob im Hinblick auf eine fehlgeschlagene Abnahme Mängelansprüche zeitlich unbeschränkt fortbestehen.

Dies ist aus Sicht des Senats mit den Gründen der Rechtssicherheit und der Billigkeit nicht in jedem Fall zu vereinbaren. Der 28. Zivilsenat hat in diversen Entscheidungen hierbei aber deutlich gemacht, dass allein auch ein erheblicher Zeitablauf nicht ausreichend ist, die Verwirkung die Ausnahme darstellt und diese auf besondere und atypische Einzelfälle beschränkt ist. Maßgeblich ist jeweils eine Gesamtschau der konkreten Umstände des Einzelfalls.

Mit der Verjährung hat der Gesetzgeber ein Rechtsinstitut geschaffen, das aus Gründen des Schuldnerschutzes und vor allem des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit allgemein als zwingend erforderlich anerkannt ist, eine spezialgesetzliche Ausformulierung von Treu und Glauben darstellt und letztlich auch öffentliche Interessen schützt.

Der Gesetzgeber hat sich hierbei wertend entschieden, den Aspekt der Verjährung auf Ansprüche i.S.d. § 194 BGB zu beschränken und gerade das gesetzliche Regelungskonzept der §§ 197, 199, 200 f. BGB zeigt, dass grundsätzlich keine Ausnahmen gewollt sind und sogar Zustände, wie z.B. das Eigentum, betroffen sein können (§ 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Auch die §§ 438 Abs. 3, 634a Abs. 3 BGB zeigen, dass sogar bei einem arglistigen (meist gleichzeitig deliktischem) Verhalten den Aspekten des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit immanente Bedeutung zugemessen wird und eine Verjährung in Betracht kommt.

Gleiche Erwägungen gelten im Hinblick auf die Dauer der Verjährungsfristen. Auch insoweit hat der Gesetzgeber Wertungsentscheidungen dahingehend getroffen, welche Vertragsseite das Risiko in Richtung der Lebensdauer von Wirtschaftsgütern tragen muss. In Bausachen wird eine Gewährleistung als nicht mehr gerechtfertigt angesehen, wenn sich nicht innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren Mängel zeigen.

Zur Überzeugung des Senats müssen diese Wertungen bei der Anwendung des § 242 BGB einfließen, um unbillige Ergebnisse zu korrigieren.

Im vorliegenden Fall prägen folgende tatsächliche Momente die Entscheidung:

aa) Die erhebliche Zeitdauer von etwa 20 Jahren, gemessen zwischen Übergabe im Jahr 2001 und den Beanstandungen der streitgegenständlichen Mängel im Jahr 2021.

Berücksichtigt man die Wertung in § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB ist das Zeitmomentum das Vierfache der regulären Verjährungsfrist überschritten und sogar im Strafrecht kommt der doppelten Verjährungsfrist erhebliche Rechtsbedeutung zu (§ 78c Abs. 3 S. 2 StGB).

In § 199 Abs. 4 BGB ist eine allgemeine Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren vorgesehen.

bb) Die Besteller – und diesem Gesichtspunkt kommt erhebliches Gewicht zu – handelten im Bewusstsein (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB), dass ihnen potentiell Ansprüche zustehen.

So haben sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die fertig gestellte Sache auf ihre Mangelhaftigkeit hin zu untersuchen, Mängel wurden festgestellt, diese wurden rechtlich geltend gemacht und durchgesetzt.

Die Situation ist somit nicht im Ansatz mit einer Fallgestaltung vergleichbar, in der ein Gläubiger keine Kenntnis von seiner Rechtsposition hat, von dieser erst später erfährt und dessen Unkenntnis daher schützenswert scheint (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

cc) Abnahmeklauseln – wie hier verwendet – waren zum Zeitpunkt der Errichtung des gegenständlichen Objekts die Regel und wurden notariell beurkundet.

Die Rechtsprechung hat – bis heute – erhebliche Schwierigkeiten im Umgang mit der Abnahme des Gemeinschaftseigentums bei Wohnungseigentumsanlagen, ein Umstand, der durch die Nachzügler-Rechtsprechung noch verschärft wird.

Einem Unternehmer kann daher bei einer Gesamtbetrachtung nicht der Vorwurf gemacht werden, sich unredlich verhalten zu haben.

Diesen, im Hinblick auf die Unwirksamkeit der Abnahmeklauseln, für alle Zeit zu sanktionieren, ist eher eine angloamerikanische Betrachtungsweise.

Im deutschen Zivilrecht neigt man stattdessen zu hypothetischen Erwägungen und im vorliegenden Fall wäre dann ausgeschlossen, dass die Klägerin für die geltend gemachten Mängel noch Ersatz fordern könnte. Die Klägerin hat umfassend zum Zeitpunkt des vermeintlichen Verjährungseintritts die Sache untersucht. Da eine positive Untersuchung stattfand und sich – in Richtung der streitgegenständlichen Mängel – weder Mängelsymptome gezeigt haben, noch Mängelursachen festgestellt wurden, ist nicht ersichtlich, dass sie durch die unwirksame Abnahmeklausel Nachteile erlitten hätte.

Auch die konkrete Form der Abnahmeklausel ist zu berücksichtigen.

Die Rechtsprechung sieht formularmäßige Klauseln zur Abnahme kritisch, da das Rechtsinstitut der Abnahme nicht nur eine Pflicht des Bestellers ist, sondern gleichzeitig dessen Recht, dem überragende Bedeutung zukommt.

Im konkreten Fall sah der Vertrag vor, dass der Besteller unwiderruflich einen Sachverständigen wählt, der die Abnahme erklärt. Auch wenn insoweit die Klausel im Hinblick auf die nicht gegebene Widerruflichkeit nicht ausreichend dem gesetzlichen Wertbild entspricht, wurde zumindest gewährleistet, dass das Prüfrecht des Dritten in der Bestellersphäre verankert war.

Der Senat misst dem Umstand, dass die Besteller / Klägerin zweifach das Werk über einen Sachverständigen prüfen ließ und die Beklagte jeweils die dort festgestellten Mängel beseitigt hat, erhebliches Gewicht zu.

Auch wurden, soweit die Klägerin ohne Einsatz eines Sachverständigen Mängel gerügt hat, diese abgearbeitet.

(a) Das Objekt wurde unmittelbar nach der Übergabe am 22.02.2001 durch den Sachverständigen W. geprüft, der nach einer weiteren Begehung im Mai 2001 eine mehrseitiges „Mängelprotokoll“ erstellte.

(b) Vier Jahre später beauftragte die Klägerin den Sachverständigen ###, der 2005 insgesamt 140 Positionen rügte.

(c) Die Klägerin hat im Jahr 2004 Mängel an der Heizanlage gerügt.

(d) Für einen verständigen Empfänger in der Position der Beklagten, haben die Besteller durch ihr Verhalten zum Ausdruck gebracht, abschließend die Gewährleistungssituation beurteilen zu wollen.

Wäre eine Abnahme wirksam vorgenommen worden, wären die Sekundäransprüche 2007 verjährt. Der Einsatz eines Privatsachverständigen kurz vor dem Eintritt der vermeintlichen Verjährung bringt gegenüber der Beklagten deutlich zum Ausdruck, dass die Klägerin als Bestellerin umfassend ihr Prüfrecht wahrnehmen wollte.

24. Oktober 2023

Darf ein Hausverwalter Ratenzahlung vereinbaren?

Viele Wohnungseigentümer sind der Ansicht, dass sich die Hausverwaltung um alles kümmere und die Eigentümergemeinschaft nur bei ganz wesentlichen Fragen mitentscheiden müsse. Viele Hausverwalter vertreten die Ansicht, sie hätten nahezu unbegrenzte Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse, ohne zunächst einen entsprechenden Eigentümerbeschluss einzuholen.

Das dem nicht so ist, zeigt eine aktuelle Entscheidung des Amtsgerichts Gelsenkirchen. Demnach hat ein WEG-Verwalter keine Kompetenz zur Gewährung von Zahlungserleichterungen, etwa durch Bewilligung einer Ratenzahlung. Eine Ermächtigung des Verwalters zum Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung bedürfte eines Beschlusses.

Vor einer Beschlussfassung oder einer sie ersetzenden gerichtlichen Entscheidung über die Genehmigung einer Jahresabrechnung entsteht weder eine Nachzahlungspflicht der Gemeinschaft noch ein Erstattungsanspruch von Wohnungseigentümern (AG Gelsenkirchen, Urteil vom 23.05.2023, Az. 427 C 231/22).

In dem der Entscheidung zugrundliegende Sachverhalt hatte ein Eigentümer behauptet, er hätte hinsichtlich einer Sonderumlage mit dem Hausverwalter mündlich Ratenzahlungen vereinbart; insoweit wurden auch monatliche Raten gezahlt.

Das Gericht wies darauf hin, dass es hierfür es eines Beschlusses über die Ermächtigung des Verwalters zum Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung (Elzer/Fritsch/Meier, Wohnungseigentumsrecht, § 5 Rn. 15) bedarf, ein derartiger ermächtigender Beschluss wurde von der Klägerin, der Wohnungseigentümergemeinschaft, nicht gefasst.

19. Oktober 2023

Bundesfinanzhof zu den Anforderungen an eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz

Der BFH hat sich mit Beschluss vom 18.08.2023, Az. IX B 104/22 mit den Anforderungen an eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz befasst.

Demnach muss bei einer Videoverhandlung muss jeder Beteiligte zeitgleich die Richterbank und die anderen Beteiligten visuell und akustisch wahrnehmen können. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn ein im Gerichtssaal anwesender Beteiligter den zugeschalteten Beteiligten nur sehen kann, wenn er selbst sich 180 Grad dreht.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt sah der BFH das rechtliche Gehör der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erster Instanz verletzt.

Es war nach den getroffenen Feststellungen dem Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht möglich, gleichzeitig die Richterbank und das Finanzamt zu sehen. Er musste sich vielmehr umdrehen, um die Vertreter des Finanzamtes auf dem Bildschirm hinter ihm sehen zu können. Unter diesen Umständen ist nicht generell ausgeschlossen, dass ihm Einzelheiten, zum Beispiel in Mimik und Gestik der Vertreter des Finanzamtes oder der Richter, entgangen sein können. Anders als in der mündlichen Verhandlung unter Anwesenheit aller Beteiligter konnte eine mögliche nonverbale Kommunikation zwischen einem Beteiligten und der Richterbank nicht wahrgenommen werden. Dem steht nicht entgegen, dass im Regelfall die Beteiligten einer Gerichtsverhandlung nebeneinander vor der Richterbank sitzen. Denn in diesem Fall kann eine nonverbale Kommunikation zumindest regelmäßig „aus dem Augenwinkel“ wahrgenommen werden.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass durch das wiederholte Hin- und Herschauen möglicherweise die Gefahr bestand, dass der Geschäftsführer der Klägerin abgelenkt wurde und deshalb seine Konzentration auf den Prozessstoff beeinträchtigt war, so der BFH weiter.

Schließlich scheidet eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht deshalb aus, weil das FG nach § 91 Abs. 2 FGO auch in Abwesenheit des Finanzamtes hätte verhandeln und entscheiden können. Denn § 91 Abs. 1 und 2 FGO dient zwar auch dem Schutz der Verfahrensbeteiligten, insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO). Soweit es § 91 Abs. 2 FGO betrifft, ist damit allerdings der ausbleibende Beteiligte gemeint. Wenn dieser Beteiligte – wenn auch im Rahmen einer Videoverhandlung – anwesend ist, muss der andere Beteiligte stets in der Lage sein, dessen verbale und nonverbale Äußerungen umfassend wahrzunehmen.

5. Oktober 2023

Rechtsprechung aktuell: Wie laut darf ein Hahn krähen?

Das LG Mosbach hatte sich mit Urteil vom 31.05.2023, Az. 5 S 47/22 mit der Frage zu befassen, wie laut ein Hahn bei Wohnen auf dem Land krähen darf.

Das Amtsgericht hatte in erster Instanz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass lediglich im Zeitraum von 22 Uhr bis 6 Uhr das – in der Nacht zulässige – Maximalkriterium von 60 dB (A) nicht eingehalten sei. Damit liege eine Beeinträchtigung iSd §§ 1004 Abs. 1, 906 Abs. 1 BGB vor. Der Kläger habe diese Beeinträchtigungen allerdings nach §§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 2 BGB zu dulden. Bei dem Ortsteil … handele es sich um einen äußerst ländlich geprägten Stadtteil von … Eine Nutztierhaltung zur Selbstversorgung von Hühnern mit entsprechenden Hähnen sei in solchen Regionen nichts Ungewöhnliches. Darüber hinaus seien Maßnahmen gegen das Hahnenkrähen den Beklagten wirtschaftlich nicht zumutbar.

Der Kläger verfolgte sein Begehren in 2. Instanz teilweise weiter und hat den Unterlassungsantrag auf die Nachtstunden beschränkt. Er beantragt in 2. Instanz zuletzt:

Die Beklagten werden unter Abänderung des am 12.12.22 verkündeten Urteil das Amtsgericht Tauberbischofsheim, Az. 1 C 120/21, als Gesamtschuldner verurteilt, es zu unterlassen, auf ihrem Grundstück Geflügel in der Weise zu halten, dass durch davon ausgehendes Hahnenkrähen im Zeitraum von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr morgens im Schlafzimmer EG das Maximalkriterium von 60 dB (A) vor dem geöffneten Kinderzimmerfenster und vor der geöffneten Balkontüre vom Schlafzimmer des klägerischen Anwesens überschritten wird.

Insoweit hatte die Berufung Erfolg. Dem Kläger steht ein Unterlassungsanspruch nach §§ 1004, 906 BGB, soweit er in dieser Instanz noch verfolgt wird, zu.

Das Amtsgericht hat zutreffend festgestellt, dass in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr durch das Krähen der Hähne der Beklagten eine wesentliche Beeinträchtigung des Grundstücks des Klägers vorliegt, so das Landgericht Mosbach.

Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Gleiches gilt für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 48 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassen worden sind und den Stand der Technik wiedergeben (§ 906 Abs. 1 S. 2 BGB). Dies entbindet den Tatrichter aber nicht von der Würdigung der Einzelfallumstände unter Berücksichtigung des Empfindens eines verständigen Menschen (LG Bad Kreuznach Urteil vom 15.1.2019 – 1 S 83/18, BeckRS 2019, 134). Maßstab für die Beurteilung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung ist das wandelbare, das heißt auch vom jeweiligen Umweltbewusstsein geprägte Empfinden eines Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Natur, Gestaltung und Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit. Für ein Wohngrundstück ist maßgebend, ob das Wohnen an Annehmlichkeit verliert und der Grundstückswert dadurch gemindert ist (LG München, NJW-RR 1989, 1178). Das Hahnenkrähen ist von kurzzeitigen Impulsen mit hoher Frequenz gekennzeichnet, die im Vergleich zu Dauergeräuschen als wesentlich lästiger empfunden werden. Es ist daher neben der Lautstärke insbesondere zu berücksichtigen, dass durch das periodische Krähen des Hahnes sich bei dem Gestörten eine Erwartungshaltung (ein Erwartungseffekt) einstellt, aus der heraus die plötzlichen und schrillen Töne des Krähens als besonders lästig empfunden werden. Regelmäßig sind Lärmstörungen durch Hahnenkrähen geeignet, bei den Betroffenen unmittelbar gesundheitliche Gefahren wie Schlafstörungen herbeizuführen (VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 5. Oktober 2022 – 5 L 270/22). Es ist anerkannt, dass nächtliches Hahnenkrähen störend ist, da es die zur Gesundheit unabdingbar erforderliche Nachtruhe unterbricht (OLG Hamm Urteil vom 11.4.1988 – 22 U 265/87, BeckRS 1988, 2570).

Im zu beurteilenden Sachverhalt kräht der Hahn bzw. krähen die Hähne der Beklagten mehrfach in der Nachtzeit vor allem in den Morgenstunden vor 6:00 Uhr. Der Sachverständige hat festgestellt, dass in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr vor dem Kinderzimmerfenster des klägerischen Anwesens ein Maximalpegel von 65 dB (A) und vor der Schlafzimmerbalkontür ein Pegel von maximal 64 dB (A) erreicht wird.

Nach der TA Lärm (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm) sind nachts in einem allgemeinen Wohngebiet, in dem sich die Grundstücke der Parteien unstreitig befinden, grundsätzlich nur Geräuschemissionen von 40 dB (A) zulässig. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen die lmmissionsrichtwerte in der Nacht um nicht mehr als 20 dB (A) überschreiten dürfen. Man kann schon Zweifel haben, ob das vor allem in den Morgenstunden dauerhaft, vermehrt und periodisch auftretende Krähen von Hähnen als kurzzeitige Geräuschspitzen zu qualifizieren ist oder nicht vielmehr aufgrund der Häufigkeit schon als Dauergeräusch empfunden wird. Aber selbst wenn man kurzzeitige Geräuschspitzen unterstellen will, wird mit den vom Sachverständigen ermittelten Werten von 64 (Schlafzimmer) bzw. 65 dB (A) (Kinderzimmer) auch der für Geräuschspitzen in der Nachtzeit (zwischen 22:00 und 6:00 Uhr) der nach TA Lärm zulässige Maximalpegel von 60 dB (A) überschritten.

Die Kammer hat nach alledem keinen Zweifel, dass der Maximalpegel in den Nachtstunden durch das Hahnenkrähen überschritten ist. Aber es werden vorliegend nicht nur die zulässigen Grenzwerte überschritten. Vielmehr beeinträchtigen die Gesamtumstände – unter Würdigung der Einzelfallumstände unter Berücksichtigung des Empfindens eines verständigen Menschen (BGH, NJW 2004, 1317) – die Annehmlichkeit des Wohnens in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Beklagten deutlich. Ein Hahn kräht bekanntlich zu unterschiedlichen, nicht vorher bestimmbaren Tages- und – worum es hier ausschließlich geht – Nachtzeiten. Der Tierlaut stellt einen kurzfristigen Lärmimpuls dar, der im Vergleich zu einem Dauergeräusch als wesentlich beeinträchtigender empfunden wird. Hinzu kommt, dass die Kläger auch nachts im allgemeinen Wohngebiet in Geräuschspitzen deutlich – nämlich um 20 dB (A) – höhere Maximalwerte hinnehmen müssen, als bei Dauergeräuschen. Aufgrund der Besonderheiten des Hahnenkrähens, der als plötzlicher und schriller Ton wahrgenommen und damit als besonders lästig empfunden wird, ist jedenfalls bei Lautstärken in der Nacht, die über 60 dB (A) liegen, von einer wesentlichen Beeinträchtigung des klägerischen Grundstückes durch den Lärm vom Grundstück der Beklagten auszugehen.

Den Ausführungen des Amtsgerichts hinsichtlich der dem Kläger nach § 906 Abs. 2 BGB obliegenden Duldungspflicht schloß sich die Berufungsinstanz nicht an.

Zwar hätte der Kläger selbst wesentliche Einwirkungen bei Ortsüblichkeit zu dulden, wenn die Beklagten darlegen und beweisen können, dass die Einwirkung nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Nutzern dieser Art wirtschaftlich unzumutbar sind, § 906 Abs. 2 S. 1 BGB. Die Kammer war der Auffassung, dass im konkreten Fall den Beklagten Maßnahmen zur Eindämmung der Lärmemissionen durch das Hahnenkrähen wirtschaftlich zumutbar sind.

Unter wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen iSd § 906 Abs. 2 S. 1 BGB sind alle technischen Einrichtungen sowie betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten zu verstehen, die die Beeinträchtigung unter die Schwelle der Wesentlichkeit herabsetzen, und zwar aufgrund auch insoweit differenziert-objektiven Maßstabs („Benutzer dieser Art“) ohne Rücksicht auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Benutzers (MüKo BGB/Brückner, 9. Aufl., § 906 Rn. 102 m.w.N.).

Gemessen hieran ist es den Beklagten durchaus zumutbar, den Hühnerstall auf eine Art und Weise nachzurüsten, dass die von den Hähnen ausgehenden Lärmemissionen den Maximalpegel von 60 dB (A) nachts nicht überschreiten, wobei es den Beklagten im Übrigen unbenommen bleibt, andere – gleich wirksame – Maßnahmen zu ergreifen.

Der Sachverständige führte in seiner mündlichen Anhörung in der Sitzung vom 07.11.2022 vor dem Amtsgericht aus, dass diverse Möglichkeiten bestünden, um die Lärmemissionen zu reduzieren. Der Sachverständige bezifferte die Maßnahmen zur Verbesserung des Schallschutzes mit Kosten in Höhe von 3.000,00 Euro bis 4.000,00 Euro. Dieser Betrag erscheint, nachdem die Beklagten dargelegt haben, dass der Hühnerstall bereits schallisoliert sei, eher hoch gegriffen. Aber selbst wenn man diesen Betrag unterstellen wollte, ist die Aufwendung dieses Betrages für die Beklagten wirtschaftlich zumutbar.

Auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Beklagten die Hähne nur hobbymäßig halten, ist die Investition eines Betrags von 3.000,00 Euro bis 4.000,00 Euro angemessen und kann von den Beklagten verlangt werden. Vor dem Hintergrund, dass die Beklagten sich nach freier Entscheidung mittlerweile insgesamt drei Hähne – so die nicht angegriffenen tatbestandlichen Feststellungen aus dem erstinstanzlichen Urteil – und etliche Hennen angeschafft haben, erscheinen damit offensichtlich notwendig werdende Maßnahmen zur Lärmreduzierung für die betroffenen Nachbarn, die mit einem Kostenaufwand im niedrigen bis mittleren vierstelligen Bereich verbunden sind, in jedem Fall verhältnismäßig.

Auch in ländlich geprägten Gebieten kann nicht mit dem pauschalen Hinweis, dass die Tierhaltung lediglich hobbymäßig erfolge und dass damit Lärmschutzmaßnahmen, die über einem gedachten Liebhaberwert liegen würden, unverhältnismäßig seien, jeglicher Lärmschutz ausgehebelt werden. Auch in ländlichen Bezirken muss diesbezüglich eine sorgfältige Abwägung erfolgen: es ist somit das Interesse des Grundstückseigentümers an der möglichst umfassenden Nutzung seines Grundstücks gegen die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die durch ein Grundstück, von dem Lärm herrührt, verursacht werden, abzuwägen. Bei der festgestellten Lautstärke und den gerade in den Morgenstunden deutlich zunehmenden, den Schlaf jeweils unterbrechenden Störungen der Nachtruhe – mit allen bekannten gesundheitlichen Nachteilen – misst die Kammer den gesundheitlichen Belangen des Klägers höhere Bedeutung als dem Wunsch der Beklagten, ihre lieberhabermäßig betriebene Hühnerzucht mit Hähnen ungestört auszuüben, zu. Hinzu kommt, dass im vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt der vom Grundstück der Beklagten ausgehende Lärm nicht nur als störend empfunden werden kann, sondern auch gegen eine Verwaltungsvorschrift (TA Lärm) verstößt. Hierbei handelt es sich um eine allgemeine Verwaltungsvorschrift, die dem Schutz u.a. der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche dient (Nr. 1 TA Lärm). Dies führt nach Auffassung der Kammer dazu, dass den Beklagten erhöhte Maßnahmen wirtschaftlich zumutbar sein müssen, als bei „lediglich“ störendem Nachtlärm, der aber noch innerhalb der durch den Gesetzgeber vorgesehenen Maximalwerten liegt. Die Kammer hält es daher im Hinblick auf die drohenden gesundheitlichen Risiken für den Kläger und seine Familie, für zumutbar, dass die Beklagten auch einen Betrag in Höhe von 3.000,00 Euro bis 4.000,00 Euro aufwenden, um die erforderliche Schallisolierung für den nächtlichen Aufenthalt der Hähne in dem Stall zu erzielen.

Soweit das Vorhandensein einer wirtschaftlich zumutbaren Abhilfemaßnahme vom Landgericht Koblenz (Urteil vom 19.11.2019 – 6 S 21/19, BeckRS 2019, 43894 Rn. 17) und vom Landgericht Kleve (Urteil vom 17.01.1989 – 6 S 311/88, BeckRS 1989, 112933) ohne substantielle Ausführungen und ohne Angabe der Kosten, die für die Nachrüstungsarbeiten erforderlich wären, abgelehnt worden ist, folgt die Kammer dem nicht, zumal dort jeweils gerade kein Verstoß gegen die TA Lärm festgestellt und der Entscheidung zugrunde gelegt wurde. Es ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass der Kostenaufwand für die schallisolierende Nachrüstung des Stalls das Ende privater Kleintierhaltung zur Folge hätte, so das LG Mosbach.

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