Ihr-Recht-Blog

13. Juni 2023

Aktuell: BGH hält an fiktiver Schadensberechnung im Mietrecht fest!

Der BGH hat mit Urteil vom 19.04.2023, Az. VIII ZR 280/21 ausdrücklich an seiner bisherigen Rechtsprechung, welche eine fiktive Schadensbemessung im Mietrecht als zulässig erachtet, festgehalten.

Das Berufungsgericht hatte die Revision ausweislich des Tenors sowie der Entscheidungsgründe wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) zugelassen, weil sich die Frage stelle, ob – ebenso wie im Werkvertragsrecht – auch im Mietrecht „eine fiktive Schadensberechnung“ nicht mehr vorzunehmen sei (LG Hagen, Urteil vom 25.06.2021, Az. 1 S 1/21).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Schadensersatzansprüche statt der Leistung im Mietrecht auch mit den für die Instandsetzung oder -haltung oder für den Rückbau der Mietsache erforderlichen aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Kosten bemessen werden (vgl. BGH, Urteile vom 31. März 2021 – XII ZR 42/20, NJW-RR 2021, 803 Rn. 15; vom 12. März 2014 – XII ZR 108/13, NZM 2014, 306 Rn. 31; vom 5. März 2014 – VIII ZR 205/13, NJW 2014, 1653 Rn. 15; vom 8. Januar 2014 – XII ZR 12/13, NJW 2014, 920 Rn. 26; vom 20. Oktober 2004 – VIII ZR 378/03, NZM 2005, 58 unter II 2 [zu § 326 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung]).

Hieran ist auch nach der vom Berufungsgericht zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht herangezogenen geänderten Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs bezüglich des Werkvertragsrechts (BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 31 ff.) weiter festzuhalten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. April 2022 – VIII ZR 364/20, NJW-RR 2022, 1307 Rn. 8 ff.; vom 10. Mai 2022 – VIII ZR 277/20, NJW-RR 2022, 1460 Rn. 14 ff.; Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 82. Aufl., § 535 Rn. 50; aA Schmidt-Futterer/ Lehmann-Richter, Mietrecht, 15. Aufl., § 538 BGB Rn. 136). Denn die Erwägungen des VII. Zivilsenats beruhen allein auf den Besonderheiten des Werkvertragsrechts und sind – auch nach dessen Ansicht – auf andere Vertragstypen nicht übertragbar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2020 – VII ARZ 1/20, NJW 2021, 53 Rn. 78; vom 26. April 2022 – VIII ZR 364/20, aaO Rn. 9 mwN; vom 10. Mai 2022 – VIII ZR 277/20, aaO Rn. 15 mwN).

Der BGH weiter: zwar gibt es – anders als im Kaufrecht (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 2021 – VIII ZR 187/20, NJW 2022, 686 Rn. 95; vom 12. März 2021 – V ZR 33/19, BGHZ 229, 115 Rn. 11; Beschlüsse vom 16. November 2021 – VIII ZR 15/20, Rn. 14; vom 13. März 2020 – V ZR 33/19, ZIP 2020, 1073 Rn. 42) – im Mietrecht einen mit § 637 Abs. 3 BGB vergleichbaren Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für die (beabsichtigte) Selbstvornahme. Denn nach der Rechtsprechung des Senats besteht im laufenden Mietverhältnis unter den Voraussetzungen des § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB ein Vorschussanspruch des Mieters bei Mietmängeln (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2020 – VIII ZR 163/18, BGHZ 226, 208 Rn. 14 mwN) und kann auch der Vermieter vom Mieter einen Vorschuss in Höhe der erforderlichen Renovierungskosten verlangen, wenn sich der Mieter mit der Durchführung der Schönheitsreparaturen in Verzug befindet (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2006 – VIII ZR 123/05, NJW 2006, 1588 Rn. 12 mwN; Senatsbeschlüsse vom 26. April 2022 – VIII ZR 364/20, aaO Rn. 10; vom 10. Mai 2022 – VIII ZR 277/20, aaO Rn. 16). Solche Ansprüche stehen hier zum einen nur zum Teil in Rede. Zum anderen beziehen sich sämtliche Ansprüche auf ein beendetes Mietverhältnis (vgl. auch BGH, Urteil vom 31. März 2021 – XII ZR 42/20, aaO).

Der vom Berufungsgericht angeführten Gefahr einer Überkompensation bei fiktiver Abrechnung im Mietrecht wird zum einen dadurch begegnet, dass der Geschädigte nur die zur Erfüllung der Leistungspflicht erforderlichen Kosten beanspruchen darf. Zum anderen ist zu beachten, dass der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung bildet (vgl. BGH, Urteile vom 8. Juli 2020 – VIII ZR 163/18, BGHZ 226, 208 Rn. 42; vom 17. Januar 2023 – VI ZR 203/22, WM 2023, 422 Rn. 50; Beschluss vom 26. April 2022 – VIII ZR 364/20, aaO Rn. 19).

Soweit der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 57 ff.) auch hinsichtlich eines solchen Schadensersatzanspruchs neben der Leistung (§ 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB) eine fiktive Schadensbemessung verneint hat, ist dies auf andere Vertragstypen außerhalb des Werkvertragsrechts nicht übertragbar. Zudem ist der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Denn im Falle des dort in Rede stehenden Anspruchs gegen einen Architekten aus § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB aufgrund von Planungs- oder Überwachungsfehlern besteht – anders als hier – eine Ersetzungsbefugnis des Bestellers nicht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, aaO Rn. 58 f.), so der BGH.

24. Oktober 2017

VGH Bayern zur Rückbauverpflichtung eines rechtswidrig erweiterten Wochenendhauses

Es gibt keine Vermutung dahingehend, dass ein Baubestand der seit langen Jahren vorhanden ist, bei seiner Errichtung oder während irgendeiner Zeitspanne seines Bestehens einmal materiell legal war. Bloßer Zeitablauf hindert die Behörde nicht, auch nach Jahren gegen den rechtswidrigen Baubestand einzuschreiten. Dem Ermessen bei Erlass einer Beseitigungsanordnung ist dabei die Tendenz eigen, die im öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung baurechtmäßiger Zustände grundsätzlich gebotene Pflicht zum Einschreiten zu verwirklichen. Dabei ist es Sinn und Zweck der Beseitigungsanordnung, als bauaufsichtliche Maßnahme die tatsächlichen Verhältnisse mit den öffentlich-rechtlichen Anforderungen in Einklang zu bringen. Die Behörde muss dabei keine zivilrechtlichen Ansprüche zwischen den beteiligten Nachbarn prüfen und berücksichtigen.

Hierauf hat der VGH Bayern mit Beschluss vom 26.09.2017, Az. 9 ZB 16.852 hingewiesen und die Abweisung der Klage einer Hauseigentümerin gegen eine Anordnung zum Rückbau eines Anbaus an ihr bestehendes Wochenendhaus damit bestätigt.

Das Landratsamt hatte die Klägerin mit Bescheid vom 26. Juni 2015 verpflichtet, den Anbau an ihr bestehendes Wochenendhaus an der Ostseite ihres Gebäudes auf das ursprünglich genehmigte Maß zurückzubauen, so dass der entsprechende Grenzabstand von 3,80 m (nördliche Hauskante) bis 3,0 m (südliche Hauskante) wiederhergestellt wird. Die Klage der Klägerin vor dem Verwaltungsgericht Würzburg wurde abgewiesen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Soweit sich die Klägerin darauf berufen hat, der Bauzustand bestehe bereits seit dem Jahr 1984, ist dies nach Ansicht des VGH unerheblich, weil damit keine formelle oder materielle Legalität des zur Beseitigung anstehenden Anbaus zu irgendeinem Zeitpunkt dargelegt wird. Eine Vermutung dahin, dass ein seit langen Jahren vorhandener Baubestand bei seiner Errichtung oder während irgendeiner Zeitspanne seines Bestehens einmal materiell legal war, besteht nicht. Zudem entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der bloße Zeitablauf allein die Bauaufsichtsbehörden nicht hindert, gegen einen auch seit langen Jahren bestehenden rechtswidrigen Baubestand einzuschreiten (vgl. BayVGH, Beschluss vom 04.10.2016 – 9 ZB 14.2173). Der Vortrag der Klägerin, die beigeladenen Nachbarn seien bis zum Jahr 2012 mit dem Anbau einverstanden gewesen, verhilft dem Antrag ebenfalls nicht zum Erfolg. Denn hieraus ergibt sich für die Erstreckung der Abstandsfläche auf das Nachbargrundstück weder eine rechtliche oder tatsächliche Sicherung, dass diese nicht überbaut werden, noch liegt hierin eine schriftliche Zustimmung der Nachbarn gegenüber der Bauaufsichtsbehörde nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO, so der Senat.

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